LG Hamburg, Urteil vom 2.6.2006 – 328 O 397/05
Stellt Formulierung „sofort zahlen“ in Bürgschaftsvertrag erstes Anfordern dar?
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt im Wege der Teilklage von der Beklagten Zahlung aus einer Gewährleistungsbürgschaft.
Mit Generalunternehmervertrag vom 4./5. August 1999 beauftragte die Klägerin die B. GmbH mit der Sanierung und dem Umbau des Objektes M. in S.
Gemäß § 2 des Vertrages sollten Bestandteile des Vertrages in folgender Reihenfolge sein:
Ziffer 2.1 Generalunternehmervertrag mit dem Verhandlungsprotokoll vom 04.08.1999 und den darin aufgeführten Anlagen
– Mustertext Gewährleistungsbürgschaft
– …
Ziffer 2.7 die VOB/B …
sein.
Ferner sah der Vertrag in § 10 – Sicherheiten folgende Regelung vor:
„10.1 Als Sicherheit für die Gewährleistungsansprüche des AG kann der AN dem AG eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Bruttoschlussrechnungssumme in Form einer Bankbürgschaft gemäß § 2 Ziffer 1. (beigefügter Mustertext) zur Verfügung stellen.“
Sowie in § 11-Zahlungen:
„11.5 Die restlichen 5 % der Bruttoschlussrechnungssumme kann der AG bis zum Ablauf der Gewährleistung zurückbehalten. Der AN kann diese jedoch durch eine Gewährleistungsbürgschaft einer deutschen Bank/Sparkasse/Versicherung gemäß Mustertext § 2.1 ablösen.“
Der dem Generalunternehmervertrag beigefügte Mustertext der Bürgschaft enthielt folgende Formulierung:
„Für die Erfüllung aller Verpflichtungen der Firma … (Auftragnehmer) aus diesem Auftrag, aus allen Zusatzaufträgen sowie aller Verpflichtungen, die im Zusammenhang mit diesem Auftrag und den Zusatzaufträgen stehen, insbesondere aus der übernommenen Gewährleistung, auch aus Überzahlungen, übernehmen wir … unter Verzicht auf die Einreden gemäß §§ 768, 770, 776 BGB sowie auf die Hinterlegungsbefugnis hiermit die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Betrag von ….
Wir werden sofort Zahlung an die DF Objektverwaltungsgesellschaft leisten.“
Als Sicherheit für ihre Gewährleistungsansprüche übergab die B. GmbH der Klägerin die streitgegenständliche Bürgschaftserklärung der Beklagten vom 8. August 2000 über einen Gesamtbetrag in Höhe von DM 73.250,– (37.452,13 Euro). Die Beklagte hatte den Mustertext der Bürgschaftserklärung wie folgt abgeändert:
„Wir werden innerhalb von 14 Kalendertagen nach nachweisbarem Eingang (Rückschein/Einschreiben) Zahlung an die DF Objektgesellschaft leisten.“
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Generalunternehmervertrag (Anlage K1) sowie die Bürgschaftserklärung der Beklagten (Anlage K3) verwiesen.
Die Abnahme der Werkleistungen erfolgte am 4. Juli 2000, wobei der B. GmbH von der Klägerin eine Nachfrist zur Beseitigung einiger in der Abnahmebescheinigung (Anlage K2) aufgeführter Mängel gesetzt wurde. Über das Vermögen der B. GmbH wurde am 1. Dezember 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Klägerin behauptet, nach der Abnahme am 4. Juli 2000 seien die in der Klagschrift im Einzelnen aufgeführten weiteren Mängel aufgetreten, die sie jeweils gegenüber der Gemeinschuldnerin unter Fristsetzung zur Beseitigung angezeigt habe. Nachdem auch der Insolvenzverwalter auf die Mängelrügen nicht reagiert habe, habe sie die Mängel selbst beseitigt und die Mangelbeseitigungskosten der Gemeinschuldnerin in Rechnung gestellt. Insgesamt habe sie netto 15.423,23 Euro für die Beseitigung der Mängel sowie Sachverständigenkosten zur Feststellung der Mängel sowie der Ermittlung der Mängelbeseitigungskosten aufgewandt. Diese Kosten seien auch erforderlich und üblich. Mit der Klage macht die Klägerin einen Teilbetrag dieser Mängelbeseitigungskosten geltend.
Die Klägerin ist der Auffassung, es handele sich vorliegend nicht um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern, weder der Wortlaut der Musterbürgschaft noch der Wortlaut der zugrunde liegenden Vertragsbedingungen ließen auf das Erfordernis des Stellens einer solchen Bürgschaft schließen. Im Übrigen sei der Mustertext unmaßgeblich, da er von den vertraglichen Vereinbarungen in §§ 10, 11 des Generalunternehmervertrages abweiche, der eine Bürgschaft auf erstes Anfordern gerade nicht fordere. Die Sicherungsabrede halte einer isolierten Inhaltskontrolle stand, da i.V.m. dem Mustertext die geforderte Form der Bürgschaft hinreichend bestimmt gewesen sei. Schließlich sei ein Berufen der Beklagten auf die Unwirksamkeit der Bürgschaftserklärung rechtsmissbräuchlich, da sie den Mustertext geändert und sich so der Möglichkeit begeben habe, lediglich eine einfache selbstschuldnerische Bürgschaft zu stellen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.001,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 14. August 2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die der Bürgschaft zugrunde liegende Sicherungsabrede gemäß § 9 AGBG unwirksam sei. Bereits der Ausschluss sämtlicher Einreden des § 768 BGB halte einer Inhaltskontrolle gemäß § 9 AGBG nicht stand. Im Übrigen sei die Sicherungsabrede in §§ 10, 11 des Generalunternehmervertrages intransparent, da sie die Ausgestaltung der Bürgschaft nicht abschließend regele, sondern den Inhalt offen lasse und insoweit auf das Muster verweise. Auch die geänderte Formulierung hinsichtlich der Zahlungsfrist ändere nichts an dem Charakter einer Bürgschaft auf erstes Anfordern. Eine solche benachteilige den Auftragnehmer jedoch unangemessen, die Sicherungsabrede sei daher unwirksam.
Im Übrigen erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung der Hauptschuld sowie der Verjährung der Bürgenschuld.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung von Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 5.001,– Euro gemäß § 765 BGB aus der von dieser übernommenen Bürgschaft zu, denn die der Bürgschaftserklärung zugrunde liegende Sicherungsabrede zwischen der Klägerin und der B. GmbH ist gemäß § 9 AGBG unwirksam.
Die Beklagte kann der Klägerin die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede entgegen halten, denn die Inanspruchnahme der Beklagten aus der gleichwohl begebenen Bürgschaft wäre mangels eines schutzwürdigen Eigeninteresses der Klägerin rechtsmissbräuchlich, § 242 BGB. Wird der Bürge aus einer infolge einer unwirksamen Sicherungsabrede übergebenen Bürgschaft in Anspruch genommen und zahlt insoweit zu Unrecht, steht sowohl ihm als auch dem Hauptschuldner ein originärer Rückforderungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB zu (Ingenstau/Korbion, VOB, 15. Auflage, Teil B, § 17 Nr. 1 Rn. 47). Mithin könnte die Beklagte nach erfolgreicher Inanspruchnahme durch die Klägerin unverzüglich die Erstattung des Geleisteten verlangen. Hierzu ist die Beklagte jedoch nicht verpflichtet, der Klägerin fehlt insoweit ein schutzwürdiges Eigeninteresse. Sie kann keine Leistung fordern, die alsbald zurückzugewähren wäre (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est, Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Auflage, § 242 Rn. 52 mwN).
Die der Bürgschaft zugrunde liegende Sicherungsabrede ist unwirksam, denn sie benachteiligt die Hauptschuldnerin, die B. GmbH entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, § 9 AGBG. Die Vorschrift des § 9 AGBG ist auf die in dem Generalunternehmervertrag vom 4./5. August 1999 enthaltene Sicherungsabrede anwendbar, Art. 229 § 5 EGBGB.
Es handelt sich bei der Sicherungsabrede entgegen der Auffassung der Klägerin auch um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 AGBG, die von der Klägerin als Verwenderin der B. GmbH als Vertragspartnerin gestellt wurden. Sowohl bei dem Generalunternehmervertrag als auch dem Bürgschaftsmuster handelt es sich bereits nach ihrer drucktechnischen Aufmachung um Formulare, die augenscheinlich für eine Vielzahl von Verwendungen gedacht sind. Nach dem objektiven Eindruck besteht ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen von allgemeinen Geschäftsbedingungen. Tatsachen, die zu einer Entkräftung dieser Vermutung beigetragen hätten, insbesondere ein individuelles Aushandeln hat die Klägerin, der hierfür die Darlegungs- und Beweislast obliegt, nicht vorgetragen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wird der streitgegenständlichen Sicherungsabrede der Charakter einer Allgemeinen Geschäftsbedingung auch nicht dadurch genommen, dass die Beklagte den Mustertext teilweise abgeändert hat, denn der Bürge kann die Sicherungsabrede nicht nachträglich abändern. Im Übrigen stellt auch die einseitige Abänderung durch die Beklagte kein Aushandeln im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBG dar.
Die Sicherungsabrede ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon unklar im Sinne des § 5 AGBG, denn die zu stellende Sicherheit ist durch die in dem Generalunternehmervertrag enthaltenen Klauseln in Verbindung mit dem diesem Vertrag unstreitig beigefügten Muster der Bürgschaftserklärung hinreichend bestimmt.
Die streitgegenständliche Sicherungsabrede ist jedoch wegen unangemessener Benachteiligung der Hauptschuldnerin unwirksam, § 9 AGBG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 5. Juni 1997 – VII ZR 324/95, NJW 1997, 2598), der sich das Gericht anschließt, benachteiligt eine Sicherungsabrede, die das dem Auftragnehmer grundsätzlich bestehende Wahlrecht gemäß § 17 Nr. 3 VOB/B zwischen mehreren Arten von Sicherheiten dahingehend beschränkt, dass als erstmalige Sicherheit ein Bareinbehalt unter gleichzeitiger Abbedingung der Pflicht des Auftraggebers zur Einzahlung auf Sperrkonto gestellt wird, der nur durch Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden kann, diesen entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen; sie verstößt gegen § 9 ABGG und ist unwirksam. Mit der Forderung nach der Stellung eines Bareinbehaltes als erstmalige Sicherheit unter gleichzeitiger Abbedingung der Pflicht des Auftraggebers zur Einzahlung auf Sperrkonto wird der Auftragnehmer in unangemessener Form mit dem Insolvenzrisiko des Auftraggebers belastet. Eine als Austauschsicherheit für diesen Einbehalt vorgesehene Bürgschaft auf erstes Anfordern stellt hierfür keinen angemessenen Ausgleich dar, denn sie belastet den Auftragnehmer aufgrund der Möglichkeit ihrer erleichterten Inanspruchnahme in gleicher Weise mit dem Insolvenzrisiko des Auftraggebers.
Die Klägerin und die Hauptschuldnerin haben vorliegend nach dem eindeutigen Wortlaut der in § 11 Ziffer 5 des Generalunternehmervertrages enthaltenen Klausel das Wahlrecht der Hauptschuldnerin hinsichtlich der erstmaligen Stellung der Sicherheit auf einen Bareinbehalt beschränkt (vgl. auch Ingenstau/Korbion, aaO, § 17 Nr. 3 Rn. 3 mwN). Die Klausel enthält keinen Verweis auf § 17 VOB/B, die VOB/B sollte nach den Regelungen des Vertrages erst nachrangig zu dem Generalunternehmervertrag gelten (§ 2 Ziffer 7. des Vertrages), die Regelung hinsichtlich des Bareinbehaltes ist damit als abschließend anzusehen. Dieser Bareinbehalt durfte nach der streitgegenständlichen Sicherungsabrede nur durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abgelöst werden. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich sowohl bei dem Mustertext als auch der tatsächlich von der Beklagten erteilten Bürgschaftserklärung um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern. In dem dem Generalunternehmervertrag beigefügten Mustertext der Bürgschaftserklärung war unstreitig die Formulierung enthalten:
„Wir werden sofort … Zahlung leisten.“.
Für das Vorliegen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist nicht erforderlich, dass die Begriffe „auf erstes Anfordern“ verwendet werden. Vielmehr ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sich das Erfordernis einer Bürgschaft auf erstes Anfordern zweifelsfrei aus dem Wortlaut des Vertrages ergibt. So liegt es hier. Das Erfordernis einer Zahlung „sofort“ kann vorliegend nur dahingehend verstanden werden, dass eine Bürgschaft auf erstes Anfordern gemeint war. Denn nach dem übrigen Mustertext der Bürgschaftserklärung hatte die Bürgin darüber hinaus auf die Einreden der §§ 768, 770 und 776 BGB und die Hinterlegungsbefugnis zu verzichten sowie die Übernahme der selbstschuldnerische Bürgschaft zu erklären. Eine weiter vereinbarte Zahlung „sofort“ kann somit nur eine darüber hinaus gehende Regelung sein, für die als einzige eine Bürgschaft auf erstes Anfordern in Betracht kommt.
Dieser Charakter der Sicherungsabrede wird ihr auch nicht dadurch genommen, dass die Beklagte in der tatsächlich von ihr abgegebenen Bürgschaftserklärung die Formulierung „sofort“ durch „innerhalb von 14 Kalendertagen nach nachweisbarem Eingang“ ersetzt hat. Wie bereits dargelegt, war es der Beklagten gar nicht möglich, die zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin getroffene Sicherungsabrede nachträglich zu ändern. Im Übrigen ändert die Formulierung einer Zahlungsfrist von 14 Kalendertagen nach Auffassung des Gerichts nichts am Vorliegen einer Bürgschaft auf erstes Anfordern, denn auch bei dieser Formulierung blieb die Beklagte verpflichtet, auf die Erklärung, der Bürgschaftsfall sei eingetreten, zu zahlen – eben auf erstes Anfordern –, zwar nicht sofort, aber nach 14 Tagen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt die Beklagte auch nicht rechtsmissbräuchlich, indem sie sich auch die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede beruft, denn sie hat sich nicht der Möglichkeit begeben, lediglich eine einfache selbstschuldnerische Bürgschaft zu stellen. Eine derartige Möglichkeit bestand für die Beklagte nicht, denn die zu stellende Sicherheit ist durch die in dem Generalunternehmervertrag enthaltenen Klauseln in Verbindung mit dem beigefügten Muster der Bürgschaftserklärung vollständig und abschließend bestimmt, und zwar als Bürgschaft auf erstes Anfordern. Die Möglichkeit der Stellung einer einfachen selbstschuldnerischen Bürgschaft bestand nicht.
Darüber hinaus ist die streitgegenständliche Sicherungsabrede auch unwirksam, da sie in unzulässiger Weise die Einrede der Aufrechenbarkeit gemäß § 770 BGB sowie einen Verzicht auf die Einrede des § 776 BGB enthält (Ingenstau/Korbion, aaO, § 17 Nr. 4 VOB/B, Rn. 38f).
Eine teilweise Aufrechterhaltung der Sicherungsabrede bzw. Umdeutung in eine Verpflichtung zur Stellung einer einfachen Bürgschaft kommt nicht in Betracht, denn sie liefe auf eine nach § 6 ABGB unzulässige geltungserhaltende Reduktion hinaus. Die Vorgabe des Sicherungsmittels ist eine in sich geschlossene Konzeption, von der nicht einzelne Elemente isoliert betrachtet werden können (BGH, Urteil vom 22. November 2001 – VII ZR 208/00, zitiert nach juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.