OLG Köln, Beschluss vom 10.02.2010 – 5 U 120/09
1. Über das gesteigerte Risiko der Blendempfindlichkeit als Folge einer Laseroperation am Auge war auch schon im Jahr 2000, wo diese Operation noch als Neulandmethode anzusehen war, gründlich und umfassend aufzuklären, weil Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Pupillendurchmesser, Größe der Behandlungszone und Blendungserscheinungen schon vorhanden waren (Rn.3)(Rn.6)(Rn.7)(Rn.9)(Rn.10).
2. Leidet ein 21-jähriger Patient infolge einer rechtswidrigen Laseroperation in einem Maß an erhöhten Blendungserscheinungen, dass er ohne unzumutbare Hilfsmittel nicht mehr ein Kfz führen kann, ist ein Schmerzensgeld von jedenfalls 10.000 Euro angemessen (Rn.14)(Rn.15).
(Leitsätze des Gerichts)
Tenor
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das am 14. Oktober 2009 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen, 11 O 278/06, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Der Beklagte erhält Gelegenheit, zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
I.
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Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).
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Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 10.000 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt und die Verpflichtung des Beklagten zum Schadensersatz festgestellt. Der Beklagte haftet dem Kläger wegen einer mangelhaften Eingriffs- und Risikoaufklärung gemäß §§ 847 BGB a.F., 823 Abs. 1 BGB für die immateriellen und materiellen Schäden, die durch die LASIK-Operation des linken Auges vom 19.7.2000 entstanden sind.
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1. Der Beklagte hätte den Kläger angesichts dessen starker Kurzsichtigkeit und vor allem dessen großen Pupillendurchmessers darüber unterrichten müssen, dass bei dem Kläger ein gesteigertes Risiko einer erhöhten Blendempfindlichkeit in Betracht kam, welches der Beklagte mit den vorgenommenen Untersuchungen nicht zuverlässig abschätzen konnte. Diesen Anforderungen hat der Beklagte, der nur einen allgemeinen Hinweis auf das Auftreten von Blendungserscheinungen behauptet, nach eigenem Vorbringen nicht entsprochen.
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a) Der Senat tritt der Auffassung des Landgerichts bei, dass der Beklagte im rechtlichen Ausgangspunkt zu einer besonders gründlichen und umfassenden Aufklärung verpflichtet war. Dies galt sowohl allgemein als auch für das Risiko einer erhöhten Blendempfindlichkeit.
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Erstens handelte es sich um eine relativ indizierte, in keiner Weise dringliche Operation. Da ein Patient das Für und Wider um so genauer abwägen wird, je weniger dringlich der Eingriff ist, ist der Arzt in derartigen Fällen zu einer genaueren Darstellung der Risiken verpflichtet. Die Kurzsichtigkeit des Klägers hätte wie in der Vergangenheit durch das Tragen von Kontaktlinsen oder einer Brille ausgeglichen werden können, was lediglich im Sommer allergiebedingt Beschwerden beim Tragen der Kontaktlinsen oder Beschwerden beim Tragen der relativ schweren Brille bereitet hätte, zumal sich der Kläger im Jahr 1996 einer Nasenoperation unterzogen hatte.
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Zweitens stellte die LASIK-Operation im Jahr 2000 nach der Beurteilung des Sachverständigen Dr. M. bei drei bis vier Jahren Erfahrung mit diesem Verfahren eine Neulandmethode dar (S. 3 des Sitzungsprotokolls vom 1.4.2009, Bl. 226 d.A), was den Aufklärungsumfang beeinflusste. Dies deckt sich in Bezug auf den Kläger, was der Beklagte in der Berufungsbegründung verkennt, mit den Richtlinien zur Bewertung refraktiv-chirurgischer Eingriffe (Stand März 2000) der Kommission Refraktive Laserchirurgie (KRC). Danach stellte die LASIK lediglich bis zu einer Myopie von – 10 dpt. ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren zur Myopiekorrektur dar, während Korrekturen der Myopie über – 12 dpt. abzulehnen waren. Der Kläger lag bei einer Kurzsichtigkeit von – 9,75 dpt. und einer Stabsichtigkeit von – 2,75 dpt. präoperativ, was einem zu korrigierenden Mittelwert von etwa – 11,5 dpt. (sphärisches Äquivalent) entspricht (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. auf S. 6 des Gutachtens vom 22.10.2007, Bl. 130 d.A), zwischen den genannten Grenzwerten.
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Drittens hat der Kläger, der mit dem Beklagten am 7.1.2000, 31.5.2000 und 18.7.2000 drei, teils unstreitig ungewöhnlich lange, Vorgespräche führte, nach den nicht zu beanstandenden und für den Senat bindenden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) Feststellungen des Landgerichts im zweiten Gespräch ausdrücklich nach der Gefahr von Blendungserscheinungen gefragt, was dem Beklagten einen erheblichen allgemeinen und in Bezug auf das Risiko einer erhöhten Blendempfindlichkeit speziellen Aufklärungsbedarf des Klägers deutlich machte, dem er angemessen Rechnung zu tragen hatte.
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b) Der Einwand des Beklagten, dass das sich aus einem großen Pupillendurchmesser ergebende gesteigerte Risiko einer erhöhten Blendempfindlichkeit im Juli 2000 noch nicht bekannt und daher aufklärungspflichtig gewesen sei, trifft – legt man das in diesem Zusammenhang rechtlich zutreffende Verständnis des Begriffs „Kenntnis“ zugrunde – nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. M. und Prof. Dr. E. sowie den Qualitätssicherungsrichtlinien der Kommission für Refraktive Laserchirurgie (Stand März 2000) nicht zu.
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Wie Dr. M ausgeführt hat, gab es im Jahr 2000 Hinweise darauf, dass die Bestimmung der Pupillenweite sinnvoll war (S. 3 des Sitzungsprotokolls vom 1.4.2009, Bl. 226 d.A). Prof. Dr. E. hat in seinem unter dem 15.3.2004 für die Gutachterkommission erstellten Gutachten dargelegt, dass Owerts et al. bereits in im Jahr 1993 veröffentlichter medizinischer Literatur darauf hingewiesen haben, dass die optische Zone mindestens so groß wie die Eingangspupille sein muss, um störende Lichtphänomene zu vermeiden (Bl. 37 d.A.). Der Zusammenhang zwischen Pupillendurchmesser, Größe der Behandlungszone und Blendungserscheinungen ist auch in den vom Kläger vorgelegten, unter dem Datum 27.6.2000 ausgedruckten Patienteninformationen der Kommission Refraktive Chirurgie zur LASIK unter der Fragestellung „Welche Probleme können bei der LASIK auftreten“ angesprochen (S. 6, Bl. 153 d.A). Schließlich hat die Kommission Refraktive Laserchirurgie in ihren Qualitätssicherungsrichtlinien, Stand März 2000, die Abschätzung des Pupillendurchmessers als präoperative Diagnostik empfohlen (Bl. 32 d.A), was – wie der Beklagte selbst vorgetragen hat (Bl. 68 d.A.) – der Reduzierung des Risikos von Blendphänomen diente.
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Diese als ernsthaft einzustufenden Hinweise auf den Nutzen einer Bestimmung der Pupillenweite und damit zugleich auf ein aus einem großen Pupillendurchmesser resultierendes gesteigertes Risiko einer erhöhten Blendempfindlichkeit genügen in rechtlicher Hinsicht, um eine Aufklärungspflicht zu bejahen. Für die Kenntnis eines Risikos ist es jedenfalls dann, wenn – wie hier – Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, nicht erforderlich, dass die wissenschaftliche Diskussion über bestimmte Risiken einer Behandlung bereits abgeschlossen ist und zu allgemein akzeptierten Ergebnissen geführt hat (BGH VersR 1996, 233). Vielmehr gebietet es das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, diesem auch mitzuteilen, dass ein mit der gewählten Behandlungsmethode verbundenes Risiko bei ihm möglicherweise individuell erhöht ist. Anders als es der Beklagte in der Berufungsbegründung geltend gemacht hat, ist es daher nicht widersprüchlich, dass das Landgericht es gemessen am ärztlichen Standard des Jahres 2000 nicht als behandlungsfehlerhaft gewertet hat, dass der Beklagte eine Bestimmung des Pupillendurchmessers unterließ und wegen des weiten Pupillendurchmessers keine Kontraindikation annahm, aber das Landgericht in diesem Zusammenhang gleichwohl eine besondere Aufklärungsverpflichtung des Beklagten bejaht hat.
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2. Die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung hat das Landgericht zu Recht verneint.
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Es liegt auf der Hand, dass ein möglicherweise individuell gesteigertes Risiko einer erhöhten Blendempfindlichkeit vor einer Augenoperation einen echten Entscheidungskonflikt begründet, wenn in Gestalt des Tragens von Kontaktlinsen oder einer Brille Alternativen zur Verfügung stehen, die die Beeinträchtigungen beim Sehen ausgleichen und lediglich mit gewissen Beschwerden beim Tragen einhergehen. Dass der Beklagte im Zusammenhang mit möglichen Infektionen des Auges über Beeinträchtigungen bis hin zum Verlust der Sehkraft des Auges aufgeklärt worden ist – also ein wesentlich schwereres Risiko –, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Insoweit ging es um eine allgemein in Betracht kommende, nicht aber um ein möglicherweise individuell erhöhte Gefahr, die den Kläger angesichts seiner körperlichen Verhältnisse in besonderer Weise treffen konnte.
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3. Das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld von 10.000 € ist angemessen.
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Dabei ist neben den Beeinträchtigungen durch die Operation vom 19.7.2000 und die beiden Folgeoperationen vor allem die vom Kläger beklagte erhöhte Blendempfindlichkeit zu berücksichtigen, wegen der der Kläger nicht mehr selbst Auto fährt. Die erhöhte Blendempfindlichkeit, insbesondere bei Dämmerung und Dunkelheit, hat der Sachverständige Dr. M. als nachvollziehbar bezeichnet. Es handelt sich um eine Folge, die den im Operationszeitpunkt 21 Jahre alten Kläger voraussichtlich auf Dauer belasten wird.
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Dass der Kläger auf Kontaktlinsen mit Irisblende oder auf eine Augenklappe verzichtet, um die Blendungserscheinungen zu reduzieren und/oder das Autofahren zu ermöglichen, kann ihm nicht anspruchsmindernd angelastet werden. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung glaubhaft dargestellt, dass er die Benutzung einer Kontaktlinse mit Irisblende zweimal versucht habe, die Versuche aber wegen Verrutschens der Kontaktlinse und deshalb gescheitert seien, weil er mit der Kontaktlinse mit Irisblende – wie auch mit gewöhnlichen Kontaktlinsen und einer Brille – die mit beiden Augen gesehenen Bilder unterschiedlich wahrnehme. Deshalb verzichte er, der Kläger, inzwischen auf Kontaktlinsen und Brille und nutze nur das operierte linke Auge (S. 2 f. des Sitzungsprotokolls vom 2.9.2009, Bl. 256 f. d.A.). Anders als der Beklagte in der Berufungsbegründung geltend macht, stehen dem die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. bei seiner mündlichen Anhörung nicht entgegen. Auch wenn Dr. M. auf ein gewisses präoperative Schielen des Klägers hingewiesen und den völligen Verzicht auf Kontaktlinsen und Brille als irritierend bezeichnet hat, hat er zugleich ausgeführt, dass angesichts der großen Dioptrien-Differenz beider Augen Größen- und Kontrastprobleme bei der Wahrnehmung nachvollziehbar seien. Demgemäß hat der Sachverständige am Ende der Anhörung angegeben, dass die Angabe des Klägers, er vertrage Kontaktlinsen und Brille nicht, gutachterlich nicht zu fassen, das heißt nicht zu widerlegen, sei (S. 4 des Sitzungsprotokolls vom 1.4.2009, Bl. 227 d.A.). Das Tragen einer Augenklappe beim Autofahren, auf das Dr. M. noch als Möglichkeit hingewiesen hat, ist dem Kläger jedenfalls nicht zumutbar, weil damit der Verlust des räumlichen Sehens verbunden wäre.
II.
16
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO).