BGH, Urteil vom 03.07.2008 – I ZR 218/05
Ist der Luftfrachtführer dem Empfänger wegen des Verlusts von vertretbaren Sachen als Transportgut unter Anwendung deutschen Rechts zum Schadensersatz verpflichtet, bemisst sich die Höhe des zu ersetzenden Schadens grundsätzlich nach den von dem Empfänger für die Wiederbeschaffung gleichwertiger Sachen aufzuwendenden Kosten (Rn.17); ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des für Kunden des Empfängers maßgeblichen (höheren) Wiederbeschaffungswerts besteht nur, wenn der Empfänger seinerseits seinen Kunden gegenüber in diesem Umfang zum Schadensersatz verpflichtet ist (Rn.18).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. November 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht über die Höhe des Anspruchs erkannt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerinnen sind Transportversicherer der Z. GmbH in H. (im Folgenden: Versicherungsnehmerin). Sie machen gegen die Beklagte aus übergegangenem und abgetretenem Recht wegen des Verlusts von Transportgut Schadensersatz geltend.
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Die Versicherungsnehmerin hatte Rohedelsteine durch ein in Vancouver/Kanada ansässiges Unternehmen veredeln lassen. Die bearbeiteten Steine wurden der Beklagten am 3. April 1998 von dem kanadischen Auftragnehmer in vier Paketen zum Rücktransport zur Versicherungsnehmerin übergeben. Drei Pakete kamen am 5. April 1998, das vierte am 7. April 1998 im Lager der Beklagten auf dem Rhein-Main-Flughafen in Frankfurt/Main an. Das vierte Paket wurde der Versicherungsnehmerin ausgehändigt. Die drei übrigen Pakete gingen verloren.
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Die Klägerinnen zahlten an ihre Versicherungsnehmerin, die von der Beklagten zur Abwicklung des Schadensfalls einen Betrag in Höhe von 850 DM erhalten hatte, zum Schadensausgleich 172.947,30 DM.
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Die Klägerinnen haben beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 172.947,30 DM nebst Zinsen zu verurteilen.
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Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
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Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
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Der Senat hat dieses (erste) Berufungsurteil auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
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Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten erneut zurückgewiesen.
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Mit der vom Senat beschränkt auf die Höhe des Anspruchs (§ 304 ZPO) zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Abweisung der Klage gerichtetes Begehren weiter. Die Klägerinnen beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht hat angenommen, den Klägerinnen stehe gegen die Beklagte als Luftfrachtführerin wegen des Verlusts der Pakete aus übergegangenem Recht ein Schadensersatzanspruch nach Art. 18 Abs. 1, Art. 25 WA 1955 i.V. mit § 67 Abs. 1 VVG in Höhe von 172.947,30 DM zu. Zur Begründung der Schadenshöhe hat es ausgeführt:
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Es stehe fest, dass die drei verlorengegangenen Pakete die in der Rechnung vom 30. März 1998 (Anlage K 8) unter „Lot 1, 1 bis 9“ und „Lot 2, 3 bis 23“ bezeichneten Steine enthalten hätten. Der Wert der Steine sei auf 94.265,50 US-Dollar, nach dem Umrechnungskurs zum Schadenszeitpunkt somit auf 173.797,30 DM, zu schätzen. Dabei sei gemäß den Bekundungen der Zeugin Z., der Geschäftsführerin der Versicherungsnehmerin, von einem Wert von einem US-Dollar pro Karat auszugehen. Dies sei der Preis, den Kunden der Versicherungsnehmerin erfahrungsgemäß aufwenden müssten, um vergleichbare Steine zu beschaffen. Der in der Schadensmeldung vom 14. April 1998 bei einigen Steinen angegebene Betrag von lediglich 0,50 US-Dollar pro Karat erkläre sich daraus, dass sich der betreffende Kunde mit diesem Betrag, also mit der Hälfte des regelmäßigen Wiederbeschaffungswerts vergleichbarer Steine, abgefunden habe und daher auch nur dieser Betrag der Regressforderung habe zugrunde gelegt werden können. Auch die Angabe des Transportversicherungswerts mit nur 500 US-Dollar sowie eines Zollwerts von nur 11.866,59 US-Dollar im Frachtbrief begründe keine Zweifel an der Richtigkeit der Bekundungen der sachverständigen Zeugin Z., weil diese Werte unabhängig vom Verkehrswert der Steine berechnet würden. Der Betrag von 29.666,48 US-Dollar in der Rechnung vom 30. März 1998 beruhe darauf, dass das kanadische Unternehmen die Steine nicht habe kaufen, sondern nur habe veredeln sollen.
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Ein Mitverschulden ihrer Versicherungsnehmerin sei den Klägerinnen nicht entgegenzuhalten.
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II. Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Höhe des Anspruchs (§ 304 ZPO) und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht angenommen werden, dass die Klägerinnen aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin von der Beklagten Schadensersatz in Höhe von 88.426, 55 € (= 172.947,30 DM) verlangen können.
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1. Den Klägerinnen steht gegen die Beklagte wegen des Verlusts der drei Pakete dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch nach Art. 18 Abs. 1, Art. 25 WA 1955 i.V. mit § 67 Abs. 1 VVG zu. Da Art. 18 WA 1955 keine Regelungen zum Umfang des zu ersetzenden Schadens enthält, ist ergänzend das jeweils anwendbare nationale Recht heranzuziehen (vgl. BGH, Urt. v. 9.6.2004 – I ZR 266/00, TranspR 2004, 369, 371 = NJW-RR 2004, 1482 m.w.N.). Da das Berufungsgericht keine Feststellungen zur Anwendbarkeit und Auslegung ausländischer Rechtsvorschriften getroffen hat, ist davon auszugehen, dass es den Umfang des zu ersetzenden Schadens – insoweit in Übereinstimmung mit den Parteien – auf der Grundlage des deutschen Rechts ermittelt hat. Der rechtlichen Beurteilung in der Revisionsinstanz ist daher ebenfalls diese Wahl der Rechtsordnung durch die Parteien (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 EGBGB) zugrunde zu legen.
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2. Bei Anwendung deutschen Rechts gelten für die Feststellung des Umfangs des zu ersetzenden Schadens die Vorschriften der §§ 249 ff. BGB (BGH TranspR 2004, 369, 372 m.w.N.). Die Revision rügt mit Recht, dass danach eine Berechnung des zu ersetzenden Schadens auf der Grundlage des Betrags, den die Kunden der Versicherungsnehmerin für die Wiederbeschaffung verlorengegangener Steine erfahrungsgemäß aufwenden müssten, nach den vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen nicht in Betracht kommt. Vielmehr kann danach bislang nicht ausgeschlossen werden, dass der Versicherungsnehmerin ein Schaden nur in Höhe ihrer eigenen Wiederbeschaffungskosten entstanden ist.
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a) Aus der Aufstellung in der Rechnung vom 30. März 1998 (Anlage K 8), in der die Steine jeweils lediglich mit der Bezeichnung „white Topaz cut stones“ und der Angabe des jeweiligen Karatgewichts aufgeführt sind, und der Bekundung der Zeugin Z., der Geschäftsführerin der Versicherungsnehmerin, es seien alles gleiche Steine gewesen, folgt, dass es sich bei den in Verlust geratenen Steinen um vertretbare Sachen i.S. von § 91 BGB gehandelt hat. Bei vertretbaren Sachen ist Schadensersatz grundsätzlich in Form der Naturalherstellung durch Beschaffung gleichwertiger Sachen oder durch Zahlung des Geldbetrags zu leisten, den der Geschädigte für die Beschaffung aufwenden muss (vgl. BGHZ 154, 395, 397; MünchKomm.BGB/Oetker, 5. Aufl., § 251 Rdn. 9). Die Höhe des Wiederbeschaffungswerts hängt davon ab, auf welcher Handelsstufe der Geschädigte tätig ist. Handelt es sich bei ihm um einen Händler, kann er nur den Einkaufspreis verlangen, den er für die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzsache zahlen muss (vgl. BGH, Urt. v. 29.6.1965 – VI ZR 36/64, NJW 1965, 1756, 1757; Staudinger/Schiemann, BGB, Bearbeitung 2004, § 251 Rdn. 42; MünchKomm.BGB/Oetker aaO § 251 Rdn. 22 m.w.N.). Entgeht ihm durch das schädigende Ereignis die Möglichkeit eines Verkaufsgeschäfts, kann er gegebenenfalls nach § 252 BGB zusätzlich Ersatz des entgangenen Gewinns verlangen.
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b) Die Klägerinnen machen hier die auf sie übergegangenen Rechte der Versicherungsnehmerin geltend, die dieser als Empfängerin aus dem Frachtvertrag gegenüber der Beklagten als Luftfrachtführerin nach Art. 13 Abs. 3, Art. 18 Abs. 1 WA 1955 wegen des Verlusts des Gutes zustehen. Da der Ersatz eines dem Absender entstandenen Schadens, der vom Empfänger gemäß Art. 14 WA 1955 im Wege der Drittschadensliquidation geltend gemacht werden könnte, im Streitfall nicht in Rede steht, kann sich der geltend gemachte Anspruch nach Art. 18 Abs. 1 WA 1955 folglich allein auf den Ersatz des der Versicherungsnehmerin entstandenen Schadens richten. Denn ein dem Eigentümer, Käufer oder Besitzer der verlorengegangenen Sache als solchem entstandener Schaden scheidet als Gegenstand eines Ersatzanspruchs nach Art. 13 Abs. 3, Art. 18 WA 1955 aus (vgl. Koller, Transportrecht, 6. Aufl., Art. 13 WA Rdn. 4). Danach ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Höhe des Schadens der Versicherungsnehmerin, dessen Ersatz die Klägerinnen von der Beklagten verlangen können, in erster Linie nach dem Betrag zu bemessen, den die Versicherungsnehmerin für die Wiederbeschaffung gleichwertiger Steine aufwenden müsste. Zu seiner Höhe hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Er ist, wie die Revision mit Recht geltend macht, niedriger als der vom Berufungsgericht der Schadensbemessung jedenfalls teilweise zugrunde gelegte Betrag von einem US-Dollar pro Karat, den Kunden der Versicherungsnehmerin erfahrungsgemäß aufwenden müssten. Denn die Versicherungsnehmerin kann nach den Bekundungen der Zeugin Z. die Edelsteine zu besseren Bedingungen einkaufen als ihre Kunden.
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c) Auf den Betrag, den die Kunden der Versicherungsnehmerin aufwenden müssten, könnte es nur dann ankommen, wenn der Versicherungsnehmerin in dieser Höhe ein ihre eigenen Einkaufspreise übersteigender Schaden entstanden wäre, etwa weil sie ihrerseits ihren Kunden gegenüber wegen des Verlusts der Steine zum Schadensersatz in Höhe des von den Kunden aufzuwendenden Wiederbeschaffungsbetrags verpflichtet war. Den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass den Kunden der Versicherungsnehmerin ihr gegenüber entsprechende Schadensersatzansprüche zustanden. Insbesondere lässt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Parteivorbringen nicht entnehmen, welche Rechtsverhältnisse an den verlorengegangenen Edelsteinen bestanden und wie die vertraglichen Beziehungen der Versicherungsnehmerin zu ihren Kunden im Einzelnen ausgestaltet waren.
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Aus den vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Bekundungen der Zeugin Z. ergibt sich lediglich, dass die Versicherungsnehmerin weltweit Rohedelsteine an Unternehmen versendet, die diese veredeln und sodann wieder zurückschicken. In der Schadensmeldung der Versicherungsnehmerin vom 14. April 1998 (Anlage K 2) ist als Geschäftsgegenstand ihres Unternehmens genannt: „Precious and Semi-Precious Stones – Buying – Cutting – Selling“. Das Vorbringen der Klägerinnen lässt jedoch nicht erkennen, ob der Sendung der verlorengegangenen Steine nach Kanada ein konkreter Auftrag eines Kunden zugrunde lag und welchen Inhalt dieser gegebenenfalls hatte. Ob die Ausführungen des Berufungsgerichts im Rahmen der Bemessung der Schadenshöhe, der eine Teil der Steine „stamme“ von der Kundin „R.“, der andere „stamme“ von der Kundin „N.“, die Annahme rechtfertigen, dass – wie die Revisionserwiderung geltend macht – nicht Edelsteine der Versicherungsnehmerin, sondern solche ihrer Kunden verlorengegangen sind, kann dahinstehen. Selbst wenn die in Verlust geratenen Steine in dem Sinne von Kunden „stammen“ sollten, dass sie der Versicherungsnehmerin von diesen Kunden zum Zwecke der Veredelung übergeben worden waren, folgt daraus nicht ohne weiteres, dass die Versicherungsnehmerin deshalb den Kunden grundsätzlich wegen des Verlusts zum Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungswerts für die Kunden verpflichtet gewesen wäre.
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aa) Da es sich um vertretbare Sachen handelte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Versicherungsnehmerin aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen mit ihren Kunden nicht dieselben, sondern nur (veredelte) Steine gleicher Art, Güte und Menge zurückzugeben hatte (vgl. § 700 Abs. 1 Satz 1 BGB). In diesem Fall hätte die Versicherungsnehmerin mögliche Lieferpflichten gegenüber ihren Kunden durch Beschaffung gleichwertiger Steine erfüllen können. Der ihr entstandene Schaden ginge dann ebenfalls nicht über den von ihr für eine Wiederbeschaffung aufzuwendenden Betrag hinaus. Dass die Versicherungsnehmerin gleichwertige Steine nicht oder nicht rechtzeitig (wieder-)beschaffen konnte, ihr somit infolge des Verlusts der Steine der Abschluss oder die Erfüllung eines Kundengeschäfts unmöglich geworden und ihr dadurch Gewinn entgangen ist, haben die Klägerinnen nicht vorgetragen.
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bb) Selbst wenn die Versicherungsnehmerin nach den mit ihren Kunden getroffenen Abreden gerade die ihr übergebenen Steine nach Veredelung zurückzugeben hatte, ergäbe sich daraus nicht ohne weiteres ein der Versicherungsnehmerin entstandener Schaden in Höhe des für ihre Kunden maßgeblichen Wiederbeschaffungswerts. Sie wäre in diesem Falle zwar wegen der von ihr zu vertretenden Unmöglichkeit der Rückgabe der verlorengegangenen Steine ihren Kunden gegenüber gemäß § 280 Abs. 1 BGB nach den §§ 249 ff. BGB zum Schadensersatz verpflichtet gewesen. Sie hätte den geschädigten Kunden dann jedoch Schadensersatz gemäß § 249 Abs. 1 BGB durch Lieferung gleichwertiger Ersatzsteine leisten können, für deren Beschaffung sie wiederum nur den von ihr üblicherweise zu zahlenden Betrag hätte aufwenden müssen. Dass Schadensersatz im Wege der Naturalherstellung nicht möglich oder dieser zur Entschädigung der Kunden der Versicherungsnehmerin nicht genügend gewesen wäre (§ 251 Abs. 1 BGB) oder die Versicherungsnehmerin im Verlustfall vertraglich zu Schadensersatz in Höhe des von den Kunden aufzuwendenden Wiederbeschaffungsbetrags verpflichtet war, haben die Klägerinnen nicht geltend gemacht.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Kunden aus anderen Gründen statt Lieferung gleichwertiger Steine durch die Versicherungsnehmerin oder Zahlung des von der Versicherungsnehmerin dafür aufzuwendenden Betrags Entschädigung in Höhe des von ihnen selbst aufzuwendenden höheren Wiederbeschaffungswerts hätten verlangen können. Aus der Ersetzungsbefugnis des Gläubigers nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, wenn wegen der Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten ist, lässt sich ein solcher Anspruch nicht herleiten. Die dem Geschädigten gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gewährte Ersetzungsbefugnis soll diesen bei bestimmten Schäden (Verletzung seiner Person oder einer Sache) davor bewahren, das verletzte Rechtsgut dem Schädiger zur Naturalrestitution anvertrauen oder überhaupt eine Instandsetzung veranlassen zu müssen. Zudem soll sie das Abwicklungsverhältnis von dem Streit darüber entlasten, ob die Herstellung durch den Schädiger gelungen ist und vom Gläubiger daher als Ersatzleistung angenommen werden muss (vgl. BGHZ 63, 182, 184; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl., § 249 Rdn. 5; MünchKomm.BGB/Oetker aaO § 249 Rdn. 339 m.w.N.). Kann wegen des Verlusts einer vertretbaren (neuwertigen) Sache Schadensersatz im Wege der Naturalrestitution durch Beschaffung einer gleichwertigen Sache geleistet werden, sind vergleichbare Nachteile für den Geschädigten nicht zu befürchten und besteht daher kein Grund, diesem auch in solchen Fällen grundsätzlich die Ersetzungsbefugnis nach § 249 Abs. 2 BGB einzuräumen. Wählt der Geschädigte gleichwohl statt Naturalherstellung Schadensersatz durch Geldersatz, kann er – wenn der Schädiger sich darauf einlässt, obwohl die Voraussetzungen der § 249 Abs. 2, §§ 250, 251 BGB nicht erfüllt sind – jedenfalls nur den Geldbetrag fordern, den der Schädiger für die Wiederbeschaffung aufwenden müsste. Dies folgt auch aus dem Grundsatz, dass der zur Wiederherstellung erforderliche Betrag nach objektiven Kriterien zu bemessen ist (vgl. BGHZ 61, 346, 347) und der Geschädigte seinerseits zur Minderung der zur Schadensbeseitigung erforderlichen Kosten beitragen muss (vgl. § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB).
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3. Die Revision der Beklagten hat auch Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht ein der Versicherungsnehmerin zurechenbares Mitverschulden verneint hat.
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a) Die Beklagte hat vorgetragen, die verlorengegangenen Pakete wären in einen sogenannten „security cage“ eingeschlossen worden, wenn sie als Wertpakete kenntlich gemacht worden wären. Das Berufungsgericht hat dieses Vorbringen der Beklagten für die Annahme eines der Versicherungsnehmerin zurechenbaren Mitverschuldens nicht ausreichen lassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Pakete hätten dann möglicherweise für sich betrachtet sicherer gelegen. Es sei aber stark zu bezweifeln, dass ein als solches kenntlich gemachtes Wertpaket im ganzen stets sicherer „reise“ als ein unauffälliges. So wie die redlichen Mitarbeiter der Frachtführerin es wahrscheinlich aufmerksamer behandeln und sicherer lagern würden, zöge es doch auch eher die Blicke unredlicher Beteiligter auf sich.
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b) Mit dieser Begründung kann, wie die Revision mit Recht rügt, ein Mitverschulden der Absenderin, das der Versicherungsnehmerin zuzurechnen ist, nicht verneint werden.
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aa) Gemäß Art. 21 WA 1955 kann das angerufene Gericht nach Maßgabe seines heimischen Rechts entscheiden, dass der Luftfrachtführer nicht oder nur in vermindertem Umfang zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn ein eigenes Verschulden des Geschädigten den Schaden verursacht oder bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt hat. Da die Klägerinnen ihren Schadensersatzanspruch auf Art. 18 WA 1955 stützen und von der Anwendung deutschen Rechts auszugehen ist (oben unter II 1), müssen sich die Klägerinnen sowohl das Verhalten der Versicherungsnehmerin als auch dasjenige der Absenderin unter dem Gesichtspunkt eines mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten zurechnen lassen (vgl. § 425 Abs. 2 HGB; Koller aaO Art. 21 WA Rdn. 3). Die Rechtsfolgen des Mitverschuldens ergeben sich im vorliegenden Fall aus § 254 BGB, § 425 Abs. 2 HGB als dem gemäß Art. 21 WA 1955 anwendbaren nationalen Recht des angerufenen Gerichts. Danach kommt ein Mitverschulden des Absenders in Betracht, wenn er dem Frachtführer ein wertvolles Gut ohne Hinweis auf die Art und den Wert des Transportguts übergibt und er dadurch den Schadenseintritt durch Verlust des Gutes mitverursacht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urt. v. 20.1.2005 – I ZR 95/01, TranspR 2005, 311, 314 f.; Urt. v. 20.9.2007 – I ZR 44/05, TranspR 2008, 163 Tz. 42 ff. m.w.N.).
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bb) Das Berufungsgericht hat die Umstände des Verlusts der drei in Rede stehenden Pakete dahin gewürdigt, sie ließen nur den Schluss zu, dass es sich um einen Diebstahl durch einen oder mehrere Mitarbeiter der Beklagten gehandelt habe. Das „spurlose“ Verschwinden der Pakete sei nur durch einen zielgerichteten Eingriff einer nicht betriebsfremden Person zu erklären, die sich in der Halle, in der die Pakete gelagert gewesen seien, frei habe bewegen können und keiner Ausgangskontrolle unterworfen gewesen sei.
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Nach dem unter Beweis gestellten Vorbringen der Beklagten handelt es sich bei dem „security cage“, in dem die Pakete bei einer Versendung als Wertpakete aufbewahrt worden wären, um einen mit einem massiven Vorhängeschloss gesicherten stabilen Gitterkäfig in ihrem Frachtlager. Zugang zu diesem Wertraum haben, so der weitere Vortrag der Beklagten, allein die Mitarbeiter des für die Bewachung der Halle zuständigen externen Sicherheitsunternehmens; nur sie verfügten über einen Schlüssel. Sofern ein Mitarbeiter der Beklagten eine Sendung aus dem „security cage“ abholen wolle, müsse er sich mit dem entsprechenden Sicherheitsausweis der Beklagten identifizieren; sein Name werde in einem hierfür geführten Buch gesondert schriftlich festgehalten. Nach dem Vorbringen der Beklagten konnten sich deren Mitarbeiter daher in dem „security cage“ anders als in der Lagerhalle, in der die normalen Sendungen aufbewahrt wurden, nicht frei und ohne Kontrolle bewegen. Folglich wäre es nicht auf die vom Berufungsgericht festgestellte Art und Weise zum Verlust der drei Pakete gekommen, wenn diese als Wertpakete aufgegeben und demgemäß unter den von der Beklagten vorgetragenen Sicherheitsvorkehrungen im „security cage“ aufbewahrt worden wären. Dies genügt für die Darlegung, dass das Unterlassen der Wertangabe für den eingetretenen Schaden mitursächlich geworden ist. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt die Annahme einer Mitursächlichkeit für den konkret eingetretenen Schaden nicht die Feststellung voraus, dass die Pakete dann, wenn sie als Wertpakete kenntlich gemacht worden wären, mit Gewissheit nicht auf irgendeine andere Art und Weise von unredlichen Beteiligten hätten entwendet werden können. Auch hinsichtlich eines mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten genügt grundsätzlich, dass sein Verhalten für den Eintritt des Schadens adäquat kausal geworden ist (vgl. MünchKomm.BGB/Oetker aaO § 254 Rdn. 32 m.w.N.). Es reicht demnach aus, wenn das Verhalten des Geschädigten – wie hier das Unterlassen der Wertangabe – die objektive Möglichkeit eines Erfolgs von der Art des eingetretenen in nicht unerheblicher Weise erhöht hat (vgl. BGHZ 57, 245, 255).
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cc) Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang „nur am Rande“ hinzufügt, die Zeugin Z. habe glaubhaft bekundet, die Angabe eines Transportwerts von 500 US-Dollar habe den Vorgaben der Beklagten für derartige Sendungen entsprochen, steht diese Bekundung der Zeugin mit dem Vorbringen der Beklagten im Einklang, es habe grundsätzlich für Sendungen von Edelsteinen eine Obergrenze des Transportwerts von 500 US-Dollar bestanden. Dem kann jedoch nicht entnommen werden, die Beklagte habe auch Edelsteine mit einem darüber hinausgehenden Wert als normale Sendungen befördern wollen und dabei verlangt, dass auch für derartige Sendungen (nur) ein Transportwert von 500 US-Dollar angegeben werde. Die Beklagte hat vielmehr unter Beweisantritt vorgetragen, dass zwar Transporte von Edelsteinen über die Wertgrenze von 500 US-Dollar hinaus möglich gewesen seien, es dazu aber einer besonderen Absprache mit ihr bedurft habe.
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4. Dagegen bleiben die Rügen der Revision ohne Erfolg, soweit sie sich gegen die Auffassung des Berufungsgerichts wendet, die Beklagte könne sich auf die Haftungsbeschränkung nach Art. 22 WA 1955 nicht berufen, weil der Schaden durch eine Handlung verursacht worden sei, die von „Leuten“ der Beklagten im Sinne von Art. 25 Satz 2 WA 1955 in Ausübung ihrer Verrichtungen vorgenommen worden sei.
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a) Der Senat hat die Revision der Beklagten nur hinsichtlich der Höhe des Anspruchs zugelassen. Damit ist die Entscheidung des Berufungsgerichts über den Grund des Anspruchs (§ 304 ZPO) rechtskräftig geworden. Die Frage, ob der durch den Verlust der Steine eingetretene Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung der Leute der Beklagten in Ausübung ihrer Verrichtungen verursacht worden ist, gehört zum Grund des Anspruchs. Sie betrifft nicht (bloß) die Berechnung des Schadens, sondern bereits die Feststellung der die Haftung der Beklagten begründenden Pflichtverletzung (vgl. Art. 20 WA 1955).
32
b) Im Übrigen begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, der Diebstahl von Transportgut durch einen Mitarbeiter der Luftfrachtführerin während der Zwischenlagerung bis zum Weitertransport weise einen inneren sachlichen Zusammenhang mit dem Beförderungsvorgang auf und sei deshalb als eine Handlung in Ausübung der Verrichtungen im Sinne von Art. 25 Satz 2 WA 1955 anzusehen, aus Rechtsgründen keinen Bedenken. Bedienstete des (Luft-)Frachtführers handeln in Ausübung ihrer Verrichtung, wenn ein innerer sachlicher Zusammenhang zwischen der übertragenen Verrichtung nach ihrer Art und ihrem Zweck und der schädigenden Handlung besteht; die Handlung muss noch zum allgemeinen Umkreis des zugewiesenen Aufgabenbereichs gehören (vgl. BGH, Urt. v. 27.6.1985 – I ZR 40/83, TranspR 1985, 338 zu Art. 29 Abs. 2 CMR m.w.N.). Bei Diebstählen durch Bedienstete des (Luft-)Frachtführers ist ein solcher innerer Zusammenhang jedenfalls dann gegeben, wenn die Vornahme der schädigenden Handlung durch Zuweisung des betreffenden Aufgabenbereichs ermöglicht worden ist (vgl. Koller aaO Art. 25 WA 1955 Rdn. 7 i.V. mit Art. 3 CMR Rdn. 4; Thume/Schmid, CMR, 2. Aufl., Art. 3 Rdn. 38 m.w.N.; vgl. ferner BGH, Urt. v. 21.9.2000 – I ZR 135/98, TranspR 2001, 29, insoweit in BGHZ 145, 170 nicht abgedruckt). Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei darauf abgestellt, dass der Verlust des Transportguts aufgrund der Organisation des Betriebsablaufs der Beklagten nur auf einen Diebstahl durch einen oder mehrere mit dem Scannen, Verteilen und Einlegen der Pakete befasste Mitarbeiter der Beklagten zurückzuführen sein könne.
33
III. Das Berufungsurteil ist daher auf die Revision der Beklagten hinsichtlich der Entscheidung über die Höhe des Anspruchs (§ 304 ZPO) aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).