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Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 12.10.2017 – 4 U 149/16
1. Bei Verwendung handelsüblicher, neuwertiger Plastikstühle genügt eine Gemeinde im Allgemeinen ihrer Verkehrssicherungspflicht in der Cafeteria eines von ihr betriebenen Schwimmbades auch gegenüber stark übergewichtigen Besuchern.
2. Darüber hinaus ist die Gemeinde nicht zum Hinweis verpflichtet, dass die Bestuhlung nur bis zu einem Höchstgewicht genutzt werden könne.
3. Ohne konkreten Anlass für eine Überprüfung ist vom Betreiber eines Schwimmbades mehr als eine tägliche Sichtkontrolle der Bestuhlung nicht zu verlangen.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 11.11.2016 (Aktenzeichen 4 O 241/16) wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Der am … geborene und bei einem Körpergewicht von 170 kg unter Adipositas leidende Kläger besuchte am 29.03.2015 mit seiner Familie das von der beklagten Gemeinde betriebene Erlebnisbad Schaumberg in Tholey. Gegen 16 Uhr hielt er sich mit seiner Familie in der Cafeteria im Nassbereich des Schwimmbads auf und saß auf einem der dort vorhandenen, neuwertigen Plastikstühle. Nachdem er mit dem Essen fertig war, wollte er aufstehen. Dabei brach das linke hintere Stuhlbein, woraufhin der Kläger nach hinten stürzte und mit dem Hinterkopf auf einen Heizkörper prallte. Mit Anwaltsschreiben vom 08.04.2015 ließ er die beklagte Partei zur Anerkennung ihrer Haftung dem Grunde nach auffordern, was deren Haftpflichtversicherer mit Schreiben vom 29.05.2015 ablehnte.
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Der Kläger hat behauptet, er habe sich auf einen dunkelgrünen Stuhl gesetzt. Beim Aufstehen habe er sich nicht etwa nach hinten gelehnt, sondern sei gerade aufgestanden und habe sich mit den Händen auf dem Tisch abgestützt. Auf Grund des Vorfalls habe er eine Commotio cerebri mit vegetativer Symptomatik, Prellungen der oberen BWS und Sehstörungen am linken Auge erlitten. Der Quadrantenausfall des linken Auges werde verbleiben, und es bestehe die Gefahr, dass er auf diesem Auge die Sehfähigkeit verliere. Auf Grund des Gesichtsfeldverlustes könne und dürfe der Kläger seinen Beruf als Rettungssanitäter mit Personenbeförderung nicht mehr ausüben, weshalb er mit seinem Arbeitgeber Firma F. GmbH einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen, zwischenzeitlich Arbeitslosengeld I erhalten und nach einer Umschulung eine neue Stelle im Wachdienst gefunden habe.
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Der Kläger hat bestritten, dass die Stühle in der Cafeteria jeden Morgen kontrolliert werden. Wären diese Kontrollen tatsächlich erfolgt, hätte der defekte Stuhl gefunden werden müssen. Sofern die Beklagte der Auffassung sei, dass die von ihr eingesetzten Stühle ein gewisses Gewicht nicht aushielten, müsse sie entsprechende Beschilderungen mit Warnhinweisen anbringen, die darauf hinwiesen, dass die Bestuhlung nur bis zu einem gewissen Maximalgewicht genutzt werden könne.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe mit dem Aufstellen des Plastikstuhls und durch das Unterlassen von Warnhinweisen hinsichtlich des zulässigen Höchstgewichts gegen ihre Verkehrssicherungspflicht verstoßen. Sie hätte andere Stühle beschaffen oder auf die Gefahrenquelle hinweisen müssen. Die Beklagte müsse auch damit rechnen, dass übergewichtige Personen die Cafeteria besuchten und sich dort auf die Stühle setzten. Der Schaden sei für den Kläger weder vorhersehbar noch erkennbar gewesen. Er hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 60.000 € für angemessen. Außerdem beansprucht er Verdienstausfall für die Zeit von April 2014 bis März 2015 in Höhe von 5.019,44 €, Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 10.12.2015 zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Zeit vom 01.04.2015 bis zum 31.03.2016 einen Verdienstausfallschaden in Höhe von 5.019,44 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit (16.01.2016) zu zahlen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger außergerichtlich entstandene und nicht anrechenbare Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit (16.01.2016) zu zahlen und
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4. festzustellen, dass die Beklagte wegen der am 29.03.2015 gegenüber dem Kläger begangenen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden (bekannt oder unbekannt) zu ersetzen, welche hieraus noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen ist.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat sich nicht für verpflichtet gehalten, sich auf einen bestimmten Benutzerkreis einzustellen, insbesondere Stühle für schwergewichtige Menschen vorzuhalten. Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe auf einem weißen Stuhl Platz genommen. Hätte er seinem Krankheitsbild Rechnung getragen, hätte er einen dunklen (grünen), stabileren Plastiksessel gewählt. Weiter hat die Beklagte bestritten, dass der Sturz des Klägers durch die Beklagte verursacht worden sei und der Stuhl vor Benutzung durch den Kläger beschädigt gewesen sei. Die Stühle in der Nasscafeteria würden jeden Morgen von den Bademeistern auf vorhandene Schäden und Verkehrssicherheit hin kontrolliert. Bei den täglichen Rundgängen, vor allem bei der Kontrolle der Bestuhlung vor Eröffnung des Schwimmbades und der Nasscafeteria, seien keine Schäden bzw. Auffälligkeiten, insbesondere keine Beschädigung am linken hinteren Stuhlbein eines Stuhles, festgestellt worden. Ein beschädigter Stuhl wäre sofort aus dem Verkehr gezogen worden, weshalb auch der von dem Kläger beschädigte Stuhl direkt von einer Mitarbeiterin der Cafeteria aus dem Verkehr gezogen und entsorgt worden sei.
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Die Beklagte hat die vom Kläger behaupteten Verletzungen und Verletzungsfolgen und deren Unfallbedingtheit bestritten. Außerdem hat sie die Angemessenheit des Schmerzensgeldes bezweifelt und bestritten, dass der Kläger einen Verdienstausfallschaden erlitten habe.
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Das Landgericht hat den Kläger als Partei angehört (Bl. 53 ff., 61 f. d. A.) und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K. S. (Bl. 56 ff. d. A.) und V. W. (Bl. 58 ff. d. A.). Mit dem am 11.11.2016 verkündeten Urteil (Bl. 65 ff. d. A.) hat es die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem erstinstanzlichen Urteil Bezug.
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Mit der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, das Landgericht habe zu Unrecht eine Verkehrssicherungspflicht verneint. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe die Beklagte durch das Aufstellen bzw. die Verwendung der streitgegenständlichen Plastikstühle sehr wohl eine besondere Gefahrenquelle geschaffen. Den Schwimmbadbetreiber treffe neben der deliktischen auch eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht. Der Betreiber habe dafür Sorge zu tragen, dass auch übergewichtige Menschen nicht zu Schaden kämen, was er durch die Wahl seiner Bestuhlung unterlassen habe. Der Kläger sei Stammkunde der Beklagten gewesen und habe regelmäßig das Schwimmbad sowie die Nasscafeteria mit seiner ebenfalls übergewichtigen Familie besucht. Es sei nicht unerwähnt zu lassen, dass der Betreiber nach dem Unfall sämtliche Bestuhlung entfernt und durch andere Stühle ausgetauscht habe. Das Übergewicht könne allenfalls bei einer Mitverschuldung (gemeint wohl: einem Mitverschulden) des Klägers geprüft werden.
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Der Kläger beantragt (Bl. 99 d. A.),
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1. das am 11.11.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (Aktenzeichen 4 O 241/16) aufzuheben,
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2. die Beklagte gemäß den erstinstanzlich gestellten und im Tatbestand des Urteils ausgewiesenen Klageanträgen zu verurteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass der Kläger und seine Familie Stammkunden des Schwimmbades gewesen seien. Die Beklagte tausche auf Grund ihrer Obhuts- und Verkehrssicherungspflicht die Bestuhlung der Nasscafeteria in regelmäßigen Abständen aus.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 21.10.2016 (Bl. 52 ff. d. A.) und des Senats vom 21.09.2017 (Bl. 121 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
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Die Berufung des Klägers ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht insoweit weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Kläger günstigere Entscheidung (§ 513 ZPO).
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1. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass eine Haftung der beklagten Gemeinde gegenüber dem Kläger weder auf vertraglicher (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB; der vom Landgericht mitgenannte § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist nicht einschlägig, da ein Vertrag nicht erst angebahnt wurde, sondern bereits zu Stande gekommen war) noch auf deliktischer Grundlage (§ 823 Abs. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 2 BGB, 230 StGB) gegeben ist.
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a) Die Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Sachen wie Gebäude und Einrichtungen ist grundsätzlich privatrechtlicher Natur (Senatsurteil vom 09.05.2006 – 4 U 175/05, NJW-RR 2006, 1255 f.). Ansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in solchen Gebäuden oder Einrichtungen – wie hier in dem von der beklagten Gemeinde betriebenen Erlebnisbad Schaumberg – richten sich daher nicht nach § 839 BGB, sondern nach § 823 BGB (Tassarek-Schröder/Rönsberg in: Rotermund/Krafft, Kommunales Haftungsrecht, 5. Aufl. 2013, Kapitel I Verkehrssicherungspflichtverletzungen Rn. 721). Verkehrssicherungspflichten sind innerhalb eines Vertragsverhältnisses zugleich Vertragspflichten (BGH, Urteil vom 14.03.2013 – III ZR 296/11, BGHZ 196, 340 ff. = NJW 2013, 3366, 3368 Rn. 25; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl. 2017, § 280 Rn. 28). Da das Landgericht dies zutreffend berücksichtigt hat (Bl. 70 d. A.), ist das Monitum in der Berufungsbegründung, der Schwimmbadbetreiber habe neben der deliktischen auch eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht, und das Vordergericht habe „daher zu Unrecht eine Verkehrssicherungspflicht verneint“ (Bl. 100 d. A. unten), nicht berechtigt.
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b) Als Eigentümer öffentlicher Gebäude und Einrichtungen obliegt den Kommunen unter anderem die Verkehrssicherungspflicht zur Abwehr der durch die Eröffnung eines Verkehrs begründeten Gefahren für die Besucher und Benutzer. Zudem obliegt ihnen als Betreibern öffentlicher Einrichtungen die Organisationspflicht, das Erforderliche und Zumutbare für die Sicherheit der Besucher zu veranlassen (Tassarek-Schröder/Rönsberg in: Rotermund/Krafft, aaO Rn. 713). In öffentlichen Gebäuden oder Einrichtungen muss sichergestellt sein, dass sich der Publikumsverkehr bei normalem, vernünftigem Verhalten in den Räumen sicher bewegen kann und insbesondere keine versteckten, unerwarteten Gefahren vorhanden sind, denen auch bei Anwendung zumutbarer eigener Vorsicht nicht zuverlässig begegnet werden kann (OLG Bamberg, Urteil vom 15.12.1989 – 6 U 68/89 = VersR 1991, 935; Tassarek-Schröder/Rönsberg in: Rotermund/Krafft, aaO Rn. 719). Die Räume einer Gastwirtschaft einschließlich der Sitzplätze sind so einzurichten, dass die Gäste vor Schäden möglichst bewahrt werden (RG, Urteil vom 19.06.1914 – III 136/14, RGZ 85, 185, 186; Staudinger/Hager, BGB, Neubearb. 2009, § 823 Rn. E 260). Auch und gerade im Bereich einer in einem Erlebnis- bzw. Schwimmbad eröffneten Nasscafeteria kann im Grundsatz nichts Anderes gelten, weil hier wegen der vorherrschenden Nässe und des Schwimmbetriebes ein gegenüber einer normalen Gastwirtschaft erhebliches Gefahrenpotenzial gegeben ist.
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c) Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten im Rahmen des Vertragsverhältnisses wie auch unter deliktischen Gesichtspunkten hat das Landgericht mit Recht verneint.
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aa) Das Landgericht hat, ausgehend von der – von der Beklagten bestrittenen – Angabe des Klägers, er habe auf einem der dunkelgrünen Plastikstühle, wie auf dem Lichtbild Anlage B 2 oben links von der Terrassentür zu sehen (Bl. 35 d. A.), Platz genommen, zutreffend angenommen, dass die Beklagte durch das Aufstellen bzw. die Verwendung dieser Stühle keine besondere Gefahrenlage schuf (Bl. 73 d. A.). Im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist als unstreitige Tatsache festgestellt (§ 314 ZPO), dass (auch) die grünen Plastikstühle handelsübliche Kunststoffstühle sind, die neuwertig und für den Publikumsverkehr geeignet sind, und dass es in der Vergangenheit im Schaumbergbad der Beklagten keine vergleichbaren Vorfälle gab (Bl. 66 d. A.). Die Berufung stellt dies auch nicht in Frage. Solche Stühle sind, wie das Landgericht überzeugend ausgeführt hat, sowohl in Wartebereichen als auch im Außenbereich von einfachen Gastronomiebetrieben und Ausflugslokalen zu finden und weisen gerichtsbekannt – was von der Berufung ebenfalls nicht in Frage gestellt wird – eine gewisse Stabilität auf, weshalb bei üblicher, sachgerechter Benutzung kein Zusammenbrechen eines nicht bereits vorgeschädigten Stuhles zu besorgen ist (Bl. 74 d. A.). Bei Verwendung neuwertiger, für den Publikumsverkehr geeigneter Stühle ist sichergestellt, dass dieser sich bei normalem, vernünftigen Verhalten in den Räumen sicher bewegen kann und keine versteckten, unerwarteten Gefahren vorhanden sind, denen auch bei Anwendung zumutbarer eigener Vorsicht nicht zuverlässig begegnet werden kann. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zwar in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erklärt, der Vortrag sei letztlich, dass das verwendete Modell zu instabil oder insgesamt nicht geeignet sei, Personen aller Gewichtsklassen aufzunehmen (Bl. 56 d. A. unten). Dem kann indes nicht gefolgt werden.
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(1) Der Vortrag des Klägers lässt schon offen, welche konkrete Belastbarkeit der unter dem Kläger zusammengebrochene Stuhl aufwies und was unter „Personen aller Gewichtsklassen“ zu verstehen sein soll. Der Kläger persönlich hat bei der Parteianhörung durch das Landgericht erklärt, auf einem relativ festen Stuhl aus PVC gesessen zu haben (Bl. 55 d. A. unten). Der Vortrag der Beklagten, sie sei nicht verpflichtet, insbesondere Stühle für schwergewichtige Menschen vorzuhalten, ist im Zusammenhang mit ihrer Behauptung zu sehen, der Kläger habe auf einem weißen Stuhl Platz genommen, bei welchem für jeden Benutzer auf Grund des Kunststoffmaterials und der einfachen Verstrebung leicht erkennbar sei, dass diese Stühle nicht für stark übergewichtige Personen geeignet seien (Bl. 31 d. A. unten). Hätte er seinem Krankheitsbild Rechnung getragen, hätte er einen dunklen (grünen), stabileren Plastiksessel gewählt (Bl. 32 d. A. oben). Gerade Letzteres will der Kläger aber getan haben; denn er behauptet, nicht auf einem weißen, sondern auf einem dunkelgrünen Kunststoffstuhl gesessen zu haben (Bl. 50 d. A.).
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(2) Demgegenüber rügt die Berufung, die Beklagte habe durch das Aufstellen bzw. die Verwendung der streitgegenständlichen Plastikstühle sehr wohl eine besondere Gefahrenlage geschaffen. Die Verkehrssicherungspflicht richte sich nach dem konkreten Benutzerkreis, wobei in der Regel davon ausgegangen werden könne, dass die Benutzer sich nicht besonders leichtsinnig verhielten. Der Kläger sei Stammkunde der Beklagten gewesen und habe regelmäßig das Schwimmbad sowie die Nasscafeteria mit seiner Familie besucht. In der Vergangenheit sei nie ein Stuhl zusammengebrochen. Die restliche Familie sei ebenfalls übergewichtig, so auch der beim Unfall anwesende Bruder. Die Familie K. S. sei auch nicht die einzige übergewichtige Familie, die dieses Schwimmbad genutzt habe. Dies hätten auch andere übergewichtige Menschen getan, was dem Betreiber bekannt gewesen sei (Bl. 100 d. A.). Diese Rüge hat keinen Erfolg. Die Berufung zeigt keine Tatsachen auf, welche ihre Annahme trägt, durch das Aufstellen bzw. die Verwendung der streitgegenständlichen Plastikstühle habe die Beklagte sehr wohl eine besondere Gefahrenlage geschaffen. Wieso durch das Aufstellen und die Verwendung handelsüblicher Kunststoffstühle, die neuwertig und für den Publikumsverkehr geeignet sind, eine Gefahrenlage eintreten soll, leuchtet nicht ein. Die Erwägung der Berufung, dass der Kläger und seine restliche, ebenfalls übergewichtige Familie genauso wie andere, ebenfalls übergewichtige Besucher das Erlebnisbad bereits zuvor genutzt haben, spricht in der Gesamtschau mit der als unstreitig festgestellten Tatsache, dass es in der Vergangenheit im Schaumbergbad der Beklagten keine vergleichbaren Vorfälle gab, nicht für, sondern gegen die Auffassung der Berufung. Denn wenn es bei Nutzung durch zahlreiche übergewichtige Menschen in der Vergangenheit in keinem Fall zu einem Zusammenbrechen eines Stuhls gekommen war, kann gerade nicht festgestellt werden, dass mit dem Aufstellen und der Verwendung solcher Plastikstühle eine besondere Gefahrenlage geschaffen worden ist.
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bb) Anders als der Kläger mit seinem von der Berufung in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen geltend gemacht hat (Bl. 51 d. A.), ist die Beklagte nicht verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass die Bestuhlung nur bis zu einem gewissen (welchem?) Maximalgewicht genutzt werden könne. Eine solche Hinweispflicht würde das Maß des Möglichen und Zumutbaren übersteigen.
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(1) Zur Angabe eines Maximalgewichts ist nicht einmal der Hersteller eines Stuhles verpflichtet. Nach der Kenntnis des Senats aus einer Vielzahl von Alltagssituationen ist eine solche Kennzeichnung weder auf Bürostühlen noch in Bibliotheken, Restaurants oder Cafeterien üblich. Von dem Käufer eines Stuhles weitergehende Angaben zu verlangen, hieße die Verkehrssicherungspflicht zu überspannen.
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(2) Im Übrigen ist das Gewicht einer aufsitzenden Person für die auf einen Stuhl einwirkende Kraft nicht allein maßgeblich. Nach dem zweiten newton’schen Gesetz (Aktionsprinzip) ist der Impuls als Einwirkung der bewegenden Kraft auf einen freien Körper (hier: Plastikstuhl) gleich dem Produkt der Masse m (hier: Körpergewicht des Besuchers der Nasscafeteria) und der Beschleunigung a (Veränderung der Geschwindigkeit desselben, also: Abbildung). Ohne die – beim Käufer und Verwender eines Stuhls in aller Regel nicht vorhandene – Kenntnis der höchstzulässigen Krafteinwirkung und der höchstmöglichen Beschleunigung der Masse wäre somit die Angabe eines Höchstgewichts überhaupt nicht möglich.
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cc) Eine Verpflichtung zur Kontrolle hat die Beklagte ebenso wenig verletzt. Das Landgericht ist auf diesen Gesichtspunkt nicht eingegangen (vgl. Bl. 72 ff. d. A.). Im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist allerdings im streitigen Klägervorbringen festgehalten, soweit der Kläger zunächst vorgetragen gehabt habe, eine Pflichtverletzung liege auch darin, dass die Beklagte die Stühle nicht ordnungsgemäß auf Beschädigungen kontrolliert und es pflichtwidrig unterlassen habe, den angeblich beschädigten Plastikstuhl rechtzeitig auszutauschen, halte er diesen Vortrag nicht mehr aufrecht (Bl. 67 d. A.). Das ist an Hand des Akteninhalts aber nicht nachzuvollziehen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht lediglich erklärt, der Vorwurf sei nicht, dass der Stuhl vorher schon beschädigt worden sei. Hierzu könne der Kläger keine Aussage treffen, ob der Stuhl beschädigt gewesen sei oder nicht (Bl. 56 d. A. unten). Nach dem Inbegriff der Verhandlungen und dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ist nicht festzustellen, dass an dem betreffenden Stuhl vor der Benutzung durch den Kläger überhaupt ein Mangel vorgelegen hat, der im Rahmen einer gebotenen Kontrolle hätte erkannt werden können.
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(1) Der Kläger persönlich hat bei der Parteianhörung durch das Landgericht erklärt, er habe sich das nicht näher angeschaut, aber vor dem Hinsetzen seien ihm jedenfalls auf den ersten Blick keine Beschädigungen aufgefallen, sonst hätte er sich nicht hingesetzt. Er denke, da der Stuhl grün gewesen sei, wären kleine Risse oder Ähnliches, die dann ja weiß gewesen wären, „im Stuhlbein oder so“ auch aufgefallen (Bl. 56 d. A.). Auch der Zeuge K. S., der Bruder des Klägers, hat erklärt, bevor der Kläger sich hingesetzt habe, sei ihm nichts an dem Stuhl aufgefallen. Er habe aber auch nicht darauf geachtet. Wenn ihm etwas aufgefallen wäre, hätte er ja seinen Bruder auch gewarnt (Bl. 58 d. A. Mitte).
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(2) Die Betreiber von Badeanstalten sind grundsätzlich gehalten, zumutbare Maßnahmen zu ergreifen, um Verletzungen oder Sachschäden, die durch die Benutzung der Anlagen drohen, zu verhindern. Dabei sind aber keine Vorkehrungen gegen jede denkbare, nur entfernt liegende Möglichkeit einer Gefährdung erforderlich, sondern es muss nur den offenbaren Gefahrenquellen begegnet werden (BGH, Urteil vom 21.02.1978 – VI ZR 202/76, NJW 1978, 1629). Eine ständige Kontrolle der Schwimmbadeinrichtungen würde eine Überspannung der an die Betreiber eines Schwimmbades zu stellenden Sorgfaltspflichten bedeuten und kann vom Benutzer auch nicht erwartet werden. Denn das Badepersonal hat umfangreiche Aufgaben zu bewältigen, deren vordringlichste es ist, den Badebetrieb selbst zu beaufsichtigen, erste Hilfe zu leisten und die Einhaltung von Anordnungen, die den Badebetrieb betreffen, zu überwachen. Alle anderen Aufgaben sind demgegenüber untergeordnet (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.02.1987 – 18 U 168/86, NJW-RR 1987, 862; Tassarek-Schröder/Rönsberg in: Rotermund/Krafft, aaO Rn. 757).
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(3) Diesen Grundsätzen zufolge ist von der Beklagten grundsätzlich nicht mehr als eine tägliche Sichtkontrolle zu verlangen, die nach unwiderlegter Darstellung der Beklagten auch durchgeführt worden ist. Weiter gehende Maßnahmen, etwa eine Belastungsprobe jedes einzelnen Stuhles, sind der Beklagten nicht zuzumuten. Alle Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, dass an dem Stuhl zuvor keine Beschädigung zu erkennen war.
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dd) Letztlich ist nicht zu klären, ob das Stuhlbein schon beschädigt war, bevor der Kläger Platz genommen hat, und warum es abgebrochen ist.
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(1) Wie vorstehend unter cc) bereits ausgeführt worden ist, hat keiner der Beteiligten angeben können, ob das hintere linke Stuhlbein vor Benutzung des Stuhls durch den Kläger beschädigt war. Bei der eingehenden Befragung durch das Landgericht hat der Kläger erklärt, sie hätten mit einer größeren Runde in der Cafeteria an einem Tisch gesessen. Als sie mit dem Essen fertig gewesen seien, habe er aufzustehen versucht. Bei diesem Versuch sei der Stuhl, auf dem er gesessen habe, zusammengebrochen, und er sei gerade zurückgefallen (Bl. 55 d. A. oben). Sie hätten eine dreiviertel Stunde dort gesessen und gegessen, bis alle fertig gewesen seien (Bl. 56 d. A. Mitte). Auf erneutes Befragen nach Vernehmung der Zeugen hat der Kläger erklärt, er habe sich beim Aufstehen nicht etwa nach hinten gelehnt, um Schwung zu holen. Er sei gerade aufgestanden und habe beide Beine parallel auf dem Boden gehabt und dann die linke und die rechte Hand auf den Tisch aufgestützt, um sich dort hochzustemmen und sei dann gerade nach oben (Bl. 61 d. A. unten). Er habe auf der ganzen Sitzfläche des Stuhls gesessen, nicht nur auf der Vorderkante. Er habe sich einige Zentimeter mit dem Becken eigentlich erst von dem Stuhl gelöst, als dann das hintere linke Stuhlbein weggebrochen sei. Er habe sich dann nicht halten und auch nicht so schnell reagieren können und sei dann nach hinten weggefallen (Bl. 62 d. A. oben).
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(2) Diese Darstellung hat das Landgericht mit Recht als nicht („wenig“) überzeugend angesehen (Bl. 75 d. A.). Es leuchtet nicht ein, dass ein Stuhl, auf den ein 170 kg schwerer Mensch eine Dreiviertelstunde lang sitzen und in einer größeren Runde etwas essen kann, für die Benutzung durch einen erheblich übergewichtigen Menschen nicht geeignet sein soll. Auch der vom Kläger auf Nachfragen detailliert beschriebene Ablauf beim Aufstehen lässt das Abbrechen des hinteren linken Stuhlbeins nicht plausibel erscheinen. Der Kläger will sich mit beiden Händen auf dem Tisch abgestützt haben, er habe sich einige Zentimeter mit dem Becken eigentlich erst von dem Stuhl gelöst, als dann das hintere linke Stuhlbein weggebrochen sei. Dabei will der Kläger nicht etwa Schwung genommen haben. Indessen ist nicht nachzuvollziehen, dass das hintere Bein eines zuvor stark beanspruchten Stuhls ausgerechnet in dem Augenblick abbrechen soll, in dem der Kläger sich mit dem Becken bereits einige Zentimeter aus dem Stuhl erhoben und dabei mit beiden Händen auf dem Tisch abgestützt hatte.
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(3) Der Umstand, dass der Stuhl nach unwiderlegter Darstellung der Beklagten direkt von einer Mitarbeiterin der Cafeteria aus dem Verkehr gezogen und entsorgt worden ist (Bl. 30 d. A. unten), bewirkt keine (von Seiten des Klägers nicht einmal geltend gemachte) Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten.
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(3.1) Der Tatrichter hat gemäß § 286 ZPO nicht nur das Ergebnis einer Beweisaufnahme, sondern den gesamten Inhalt der Verhandlung zu würdigen. Dazu gehören die Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen einer Partei und damit auch ein Verhalten einer Partei, das dazu führen kann, einen Beweis zu verhindern oder zu erschweren und dadurch die Beweisführung des beweispflichtigen Prozessgegners scheitern zu lassen. Ist von einer Beweisvereitelung auszugehen, ist dies im Rahmen der Beweiswürdigung zum Nachteil des Prozessgegners der beweispflichtigen Partei zu berücksichtigen. Nur ein vorwerfbares, missbilligenswertes Verhalten kann den mit beweisrechtlichen Nachteilen verbundenen Vorwurf der Beweisvereitelung tragen (BGH NJW-RR 1996, 1534). Der subjektive Tatbestand der Beweisvereitelung verlangt einen doppelten Schuldvorwurf. Das Verschulden muss sich sowohl auf die Zerstörung oder Entziehung des Beweisobjekts als auch auf die Beseitigung seiner Beweisfunktion beziehen, also darauf gerichtet sein, die Beweislage des Gegners in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen (BGH NJW 2004, 222; WRP 2016, 35, 38 f. Rn. 29).
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(3.2) An diesen Voraussetzungen fehlt es hier. Der Zeuge K. S., der Bruder des Klägers, hat ausgesagt, es habe ihn aufgeregt, dass die Mitarbeiterin der Cafeteria den Stuhl nicht gleich ganz weggeräumt, sondern zur Seite gestellt habe, weil er Angst gehabt habe, dass sich dort noch ein anderer Besucher verletze oder auf diesen Stuhl setze (Bl. 58 d. A. oben). Der Zeuge V. W., der am Unfalltag für die Beklagte als Bademeister tätig war, hat erklärt, er sei erst später hinzugerufen worden. Als er nachgefragt habe, sei der Stuhl bereits weg gewesen, und die Mitarbeiter der Cafeteria hätten ihm nicht mehr sagen können, um welchen Stuhl es sich genau gehandelt habe (Bl. 59 d. A. Mitte).
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ee) Die Platzierung von Plastikstühlen vor etwa kniehohen Heizkörpern (Lichtbild Anlage B 2, Bl. 28 = 35 d. A.) als solche ist verkehrsüblich und stellt sich nicht etwa als verkehrssicherungspflichtwidrig dar. Dies wird von der Berufung denn auch nicht geltend gemacht.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. § 713 ZPO findet keine Anwendung.
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4. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen; denn weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.