Tickethändler schuldet bei ersatzloser Stornierung von Konzertveranstaltungen Rückzahlung des erlangten Ticketpreises

AG Bremen, Urteil vom 01. Dezember 2020 – 9 C 284/20

Die ersatzlose Stornierung von Konzertveranstaltungen wegen der Corona-Pandemie lässt die Geschäftsgrundlage eines Ticketkaufvertrags entfallen. Der Tickethändler schuldet gegenüber dem Käufer Rückzahlung des erlangten Ticketpreises.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 164,50 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.01.2020, sowie weitere 98,90 € und 90,10 €, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen, abzüglich am 24.07.2020 gezahlter 159,80 €.

2. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in Höhe von 159,80 € in der Hauptsache teilweise erledigt hat; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des

Tatbestand
1
wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe
2
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

3
Denn der Kläger hat von der Beklagten als Tickethändlerin mehrere Tickets für Veranstaltungen erworben, die wegen der Corona-Pandemie nach Kaufvertragsabschluss ersatzlos storniert wurden (08.05.2020 in Leipzig, 07.05. und 28.06.2020 in Chemnitz). Da der Kläger die Kaufpreise an die Beklagte zahlte, hat diese die erlangten Gelder zurückzuzahlen; die erworbenen Tickets hat der Kläger der Beklagten bereits vorgerichtlich zurückgegeben.

4
Es kann dahinstehen, ob die Beklagte gemäß §§ 453, 346 ff. BGB Rückzahlung schuldet (so: AG Bremen, Urteil vom 02. Oktober 2020 – 9 C 272/20 –, juris).

5
Denn die Beklagte schuldet jedenfalls wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses gemäß den §§ 346 ff. BGB (vgl. Palandt, 79. A., § 313, Rn. 42); auf die sog. Gutscheinlösung kann sich die Beklagte als Verkäuferin nicht berufen (ausführlich zum Thema: Woitkewitsch, MDR 2020, 1217). Der Kläger hat seine Kündigungserklärungen vom 21.04. und 27.04.2020 ausdrücklich auf § 313 BGB gestützt.

6
Dass die Corona-Pandemie, die deutschlandweit Konzertveranstaltungen ab März 2020 rechtlich unmöglich machte, einen Umstand im Sinne des § 313 BGB darstellt, kann nicht ernstlich bezweifelt werden (vgl. Palandt, 79. A., § 313, Rn. 32, 34). Die fortbestehende Pandemielage ist ein von außen wirkender Umstand, der – wie eine sonstige globale Naturkatastrophe – weder der Risikosphäre der Beklagten, noch der des Klägers zuzurechnen ist. Mit einem derartigen Ereignis, das die Veranstaltungsbranche aufgrund hoheitlicher Verbotsmaßnahmen zum vollständigen Erliegen bringen würde, haben die Parteien bei Vertragsabschluss nicht gerechnet.

7
Hätten die Parteien bei Vertragsabschluss die Pandemie vorausgeahnt, hätten sie keine Verträge abgeschossen. Insbesondere hätte die Beklagte keine Vorkasse verlangt und die auf ihrem Konto eingezahlten Gelder vor dem Veranstaltungsbeginn nicht an die jeweiligen Veranstalter weitergeleitet.

8
Eine Vertragsanpassung ist nicht möglich, da derzeitig offen ist, ob und wann Ersatztermine angeboten werden können. Zudem hatten die stornierten Veranstaltungen den Charakter von Fixgeschäften.

9
Die Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses innerhalb der Leistungsbeziehungen ist auch angemessen (vgl. Bl. 44: „Vielen Dank für Ihren Einkauf…bei E…“). Denn der Kläger hat gegenüber der Beklagten die volle Gegenleistung in Gestalt der Kaufpreise erbracht, ohne eine werthaltige Leistung zu erhalten (do ut des). Die veräußerten Rechte nach §§ 807, 453 BGB waren zum Veranstaltungstag für den Verbraucher nicht einlösbar. Die Beklagte mag sich mit den Veranstaltern/Ausstellern, zu denen sie gewinnbringende Geschäftsbeziehungen unterhält, auseinandersetzen. Die Rückabwicklung der Vertragsverhältnisse hat innerhalb der jeweiligen Leistungsbeziehungen zu erfolgen (vgl. Palandt, 79. A., § 812, Rn. 56, 57).

10
In den nachträglichen Stornierungen liegt auch keine Verwirklichung des sogenannten Bonitätsrisikos. Denn es geht vorliegend nicht um einen bestimmten Veranstaltungsschuldner, der nach Kaufvertragsabschluss aus Gründen, die seiner Sphäre zuzurechnen wären, nicht fristgerecht leistet, sondern um die behördliche Untersagung des gesamten Veranstaltungsgewerbes aus Gründen des (weltweiten) Infektionsschutzes.

11
Die Beklagte hat nach Einleitung des Mahnverfahrens bereits eine Teilleistung erbracht.

12
Etwaige Veranstaltungsgutscheine, die der Kläger gegen seinen Willen erhielt, mögen Zug um Zug gegen weitere Auszahlung storniert oder zurückgegeben werden.

13
Nebenforderungen in Höhe von 56,99 € Mahnkosten sind nicht geschuldet. Hierzu wurde nicht schlüssig vorgetragen.

14
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92, 713 ZPO.

15
Die Beklagte hat trotz der Hinweise vom 15.09.2020 und 04.11.2020 keine mündliche Verhandlung beantragt (§ 495a S. 2 ZPO). Die Berufung war daher nicht zuzulassen. Dass sich die Rechtsprechung bezüglich der pandemiebedingten Störungen der Vertragsbeziehungen derzeitig im Fluss befindet, ist für sich genommen kein hinreichender Grund der Berufungszulassung. Da bereits ein Berufungsverfahren in einer Parallelsache anhängig ist, hätten die Parteien nach § 251 ZPO übereinstimmend das Ruhen des hiesigen Verfahrens beantragen können; der Kläger hat aber keine Zustimmung erteilt. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO kommt angesichts des geringen Streitwerts der Sache nicht in Betracht.

Dieser Beitrag wurde unter Zivilrecht abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.