Zur Absenderhaftung im Zusammenhang mit der Übergabe gefährlicher Güter zum Transport

BGH, Urteil vom 16.10.1986 – I ZR 149/84

Zur Schadensersatzpflicht des Absenders gegenüber dem Frachtführer nach CMR Art 22 im Falle der Übergabe gefährlicher Güter zum Transport.

Tatbestand

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Die Klägerin ist ein Transportunternehmen mit Sitz in der Schweiz. Die Beklagte betreibt in L. eine Spedition.

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Die Beklagte erhielt am 23. August 1982 von der Firma R. Chemie AG den Auftrag, 67 Fässer Drahtlack von W. nach H. bei B. in der Schweiz befördern zu lassen. Drahtlack gehört zu den gefährlichen Gütern im Sinne der Bestimmungen über die Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit der Durchführung des Transports. Die Klägerin ließ das Gut am 25. August 1982 durch den Kraftfahrer R., einen Angestellten der Firma H. in L./Schweiz, vom Werk der Firma R. Chemie AG in W. abholen. Der Fahrer erhielt bei der Abholung den Versandauftrag der Firma R. Chemie AG an die Beklagte ausgehändigt; darin ist hinsichtlich des Inhalts der Fässer vermerkt:

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„Drahtlack W 44 – 10/1809 GGVS/ADR 3, Ziff. 3/VbF A 2“.

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Der Fahrer erhielt gleichzeitig die im Versandauftrag aufgeführten Anlagen, darunter ein vorgedrucktes Unfallmerkblatt. Das Frachtbriefformular füllte der Fahrer selbst aus; er vermerkte dort nicht, daß es sich um gefährliches Transportgut handelte.

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In der Nähe von L. wurde der Fahrer von einem Tankwart darauf hingewiesen, daß etwas von seinem Fahrzeug herabtropfe; er setzte die Fahrt zunächst fort. Kurz vor B. hielt die von dem Tankwart benachrichtigte Autobahnpolizei den LKW an. Bei der Überprüfung zeigte sich, daß verschiedene Fässer leck waren; diese wurden anschließend zur Weiterbeförderung auf ein Muldenfahrzeug umgeladen. Der Fahrer R. kam in ärztliche Behandlung, da er an Gesicht und Händen sonnenbrandartige Veränderungen auf der Haut hatte. Der LKW, der für den Transport gefährlicher Güter nicht besonders ausgerüstet war, mußte total überholt werden. Die Eigentümerin des Fahrzeugs trat ihre Schadensersatzansprüche an die Klägerin ab.

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Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 13.187,93 DM und 17.866 sfr wegen des Sachschadens am LKW und der sonstigen Aufwendungen (wie Einsatz von Feuerwehren, Beseitigung von Verunreinigungen und Weiterbeförderung) in Anspruch; außerdem begehrt sie Feststellung der Schadensersatzpflicht für die Zukunft.

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Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte habe sie bei Auftragserteilung nicht auf die Gefährlichkeit des Gutes hingewiesen; ihr sei nicht einmal mitgeteilt worden, daß es um den Transport von Drahtlack gehe. Sie habe davon ausgehen müssen, daß Normalgut zu befördern sei und habe deshalb weder ein Spezialfahrzeug noch einen besonders ausgebildeten Fahrer eingesetzt. Das Unfallmerkblatt sei dem Fahrer bei der Abholung zusammen mit einem für den Zoll und den Empfänger bestimmten Bündel Papiere übergeben worden, das er nicht im einzelnen gelesen habe. Das Unfallmerkblatt habe zudem nur in Fotokopie beigelegen, die im Original rot hervorgehobenen Stellen seien auf der Kopie blaßgrau und unleserlich gewesen.

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Die Beklagte hat demgegenüber behauptet, der Klägerin sei am 23. August 1982 telefonisch mitgeteilt worden, daß es sich bei dem Transport um Drahtlack handele. Das Unfallmerkblatt sei dem Fahrer im Original übergeben worden. Die Klägerin müsse sich in jedem Falle ein erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen; denn die Fässer seien leck geworden, weil auf dem LKW ein alter Auspuff und spitze Eisenteile gelegen hätten.

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben.

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Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 6 Abs. 1 lit. f CMR verneint, weil das Fehlen der Gefahrgutbezeichnung im Frachtbrief der Klägerin zuzurechnen sei; ihr Fahrer habe den Frachtbrief nicht ordnungsgemäß ausgefüllt. Das Berufungsgericht hat auch einen Schadensersatzanspruch nach Art. 22 Abs. 1 und Abs. 22. Hs. CMR nicht für gegeben erachtet und dazu ausgeführt: Die Beklagte habe die Klägerin ausreichend auf die mit der Beförderung verbundenen Gefahren hingewiesen. Zum einen müsse sich die Klägerin so behandeln lassen, als wenn die ADR-Gefahrenklasse im Frachtbrief eingetragen gewesen sei. Zum anderen habe die Beklagte aber auch bewiesen, daß der Klägerin bzw. dem Fahrer die genaue Art der Gefahren bekanntgegeben worden sei. Denn aus dem dem Fahrer übergebenen Unfallmerkblatt habe sich die konkrete Gefahr ergeben. Falls der Fahrer das Merkblatt nicht zur Kenntnis genommen haben sollte, sei dies der Klägerin anzulasten. Es könne deshalb offenbleiben, ob die Beklagte der Klägerin bereits bei Auftragserteilung telefonisch mitgeteilt habe, daß es sich bei dem Transportgut um Drahtlack handelte.

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II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

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1. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch der Klägerin nach Art. 22 Abs. 1 und Abs. 22. Hs. CMR rechtsfehlerhaft verneint.

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Nach dieser Regelung hat der Absender den Frachtführer, wenn er ihm gefährliche Güter übergibt, auf die genaue Art der Gefahr aufmerksam zu machen und ihm gegebenenfalls die zu ergreifenden Vorsichtsmaßnahmen anzugeben. Ist diese Mitteilung im Frachtbrief nicht eingetragen worden, so obliegt es dem Absender, mit anderen Mitteln zu beweisen, daß der Frachtführer die genaue Art der mit der Beförderung der Güter verbundenen Gefahren gekannt hat. Hat der Absender die erforderliche Mitteilung nicht gemacht und der Frachtführer die Gefährlichkeit der Güter nicht gekannt, so haftet der Absender für alle durch die Beförderung entstehenden Kosten und Schäden.

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a) Ohne Rechtsverstoß hat das Berufungsgericht die Beklagte als Absender und damit als passivlegitimiert angesehen. Die dagegen von der Revisionserwiderung vorgebrachten Bedenken sind unbegründet. Die Revisionserwiderung meint, vorliegend sei nicht die Beklagte, sondern die Firma R. Chemie AG Absender. Davon sei, da sich dies aus dem CMR-Frachtbrief ergebe, nach Art. 9 Abs. 1 CMR bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen. Das Gegenteil sei hier nicht bewiesen.

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Im Streitfall kann der Frachtbrief keine Beweiskraft entfalten. Dazu wäre Voraussetzung, daß ein den Vorschriften der CMR entsprechender Frachtbrief ausgestellt worden wäre (vgl. BGH, Urt. v. 9.2.1979 – I ZR 67/77, LM CMR Nr. 13 = NJW 1979, 2471 zu Art. 9 Abs. 2 CMR). Daran fehlt es hier, da das Erfordernis des Art. 5 Abs. 1 CMR nicht erfüllt ist. Nach dieser Bestimmung ist der Frachtbrief grundsätzlich vom Absender und vom Frachtführer zu unterzeichnen; die Unterschriften können jedoch gedruckt oder durch einen Stempel ersetzt werden, wenn dies nach dem Recht des Staates, in dem der Frachtbrief ausgestellt wird, zulässig ist. Vorliegend ist zwar in der von der Beklagten zu den Akten gereichten Ablichtung des vom Fahrer R. ausgefüllten Frachtbriefs vom 25. August 1982 in Spalte 1 als Absender die Firma R. Chemie AG handschriftlich eingetragen, der für „Unterschrift und Stempel des Absenders“ vorgesehene Kasten (Nr. 22) ist jedoch leergeblieben. Damit ist das Formerfordernis des Art. 5 Abs. 1 CMR nicht erfüllt.

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Gleichwohl werden dadurch der Bestand und die Gültigkeit des CMR-Beförderungsvertrages nicht berührt (vgl. Art. 4 Satz 2 CMR). Nach dem unstreitigen Teil des Tatbestandes des Berufungsurteils sind Partner dieses Vertrages die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits; und zwar die Klägerin als Frachtführerin und die Beklagte – wie das Berufungsgericht (BU 10) rechtsfehlerfrei angenommen hat – als Absenderin. Die Firma R. Chemie AG ist als Versenderin, d.h. als Auftraggeberin der Beklagten, am Beförderungsvertrag nicht beteiligt und mithin auch anstelle der Beklagten nicht Gegnerin des Anspruchs aus Art. 22 Abs. 2 CMR.

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b) Dagegen hält die Auffassung des Berufungsgerichts der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, die Klägerin habe die Gefährlichkeit des Gutes im Sinne des Art. 22 Abs. 1 CMR gekannt, weil sie sich so behandeln lassen müsse, als wenn die Gefährlichkeit im Frachtbrief eingetragen worden wäre; denn der Fahrer R. habe es in vorwerfbarer Weise unterlassen, die im Versandauftrag enthaltene Bezeichnung der Gefahrenklasse in den Frachtbrief zu übertragen. Diese Erwägung des Berufungsgerichts trägt schon deshalb nicht, weil kein wirksam ausgestellter Frachtbrief vorliegt (vgl. oben unter II 1 a). Im übrigen kann – wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen – der Umstand, daß die Gefahrenklasse im Versandauftrag angegeben ist, nicht zum Nachteil der Klägerin herangezogen werden.

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c) Auch die ergänzende Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe bewiesen, daß der Klägerin bzw. dem Fahrer R. aus den ihm übergebenen Unterlagen die genaue Art der mit der Beförderung des Gutes verbundenen Gefahren bekannt gegeben worden sei, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Für die vom Berufungsgericht festgestellte Kenntnis reicht weder die Übergabe des Unfallmerkblatts noch des Versandauftrags an den Fahrer aus.

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Für die Prüfung in der Revisionsinstanz ist – da das Berufungsgericht dies offengelassen hat – zu unterstellen, daß die Beklagte die Klägerin bei Auftragserteilung nicht darauf hingewiesen hat, daß – als gefährliches Gut einzustufender – Drahtlack zu befördern war. Es kann ihr daher nicht vorgeworfen werden, daß sie bei der Auswahl des Fahrzeugs und des Fahrers von der Beförderung von Normalgut ausgegangen ist und deshalb – wie sie vorbringt – weder ein für die Beförderung gefährlicher Güter besonders ausgerüstetes Fahrzeug noch einen damit vertrauten Fahrer eingesetzt hat. Unter diesen Umständen kann ihr nach den bislang getroffenen Feststellungen auch nicht angelastet werden, daß der von ihr eingesetzte Fahrer die Gefährlichkeit bei der Übergabe des Gutes nicht erkannt hat. Aus dem ihm ausgehändigten Versandauftrag der Firma R. Chemie AG an die Beklagte konnte er dies nicht entnehmen, wenn ihm – wie die Klägerin behauptet hat – die verwendeten Abkürzungen ADR (= Europ. Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße) und GGVS (= Gefahrengutverordnung Straße) nicht bekannt waren. Ebensowenig reichte es aus, daß dem Fahrer zusammen mit den im Versandauftrag genannten Anlagen auch ein vorgedrucktes Unfallmerkblatt ausgehändigt worden ist. Die Beklagte konnte nicht zwingend damit rechnen, daß der Fahrer das Bündel der ihm überreichten Papiere genau durchlesen würde. Im übrigen ist der Frachtführer nicht einmal verpflichtet, die übergebenen Unterlagen auf Vollständigkeit zu überprüfen (vgl. Art. 11 Abs. 2 CMR; ebenso § 12 Abs. 1 Satz 3 KVO). Selbst wenn der Fahrer das Merkblatt zur Kenntnis genommen hätte, hätte er, da er mit der Art und Weise der Beförderung gefährlicher Güter nicht vertraut war, daraus nicht notwendig ersehen können, daß – wie die Klägerin behauptet hat – für den Transport ein besonders ausgerüstetes Spezialfahrzeug erforderlich gewesen wäre. Eher hätte das mit dem Verladen gefährlicher Güter vertraute Personal der Firma R. Chemie AG, deren Verhalten sich die – der Klägerin gegenüber für die Übergabe verantwortliche – Beklagte zurechnen lassen muß, beim Verladen erkennen müssen, daß das Fahrzeug für den vorgesehenen Transport nicht geeignet war.

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Haben nach den bislang getroffenen Feststellungen weder die Klägerin noch ihr Fahrer die notwendige Kenntnis von der Gefährlichkeit gehabt, so kann ein Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, die Klägerin entweder bei Auftragserteilung, spätestens aber bei der Übergabe ausdrücklich auf die Gefährlichkeit des Transportgutes hinzuweisen. Diese Hinweispflicht hat die Beklagte nach den bisherigen Feststellungen verletzt.

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2. Die noch offengebliebenen Fragen (vgl. oben unter II 1 c) bedürfen einer weiteren Aufklärung durch den Tatrichter. Gegebenenfalls wird es auch auf das weitere Vorbringen der Beklagten ankommen, die Klägerin treffe ein erhebliches Mitverschulden, weil auf dem LKW ein alter Auspuff und spitze Eisenteile gelegen hätten und weil der Fahrer trotz des ihm von einem Tankwart gegebenen Hinweises auf das Leck weitergefahren sei.

23
III. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

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